Ökonomen fordern naturwissenschaftliche Standards
Ökonomen um den Wirtschaftswissenschaftler Prof. Marko Sarstedt von der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg fordern, dass in der Wirtschaftswissenschaft und den Verhaltenswissenschaften allgemein die gleichen wissenschaftlichen Standards wie in den Naturwissenschaften angewendet werden: Die Unsicherheiten, die mit Messergebnissen einhergehen, müssen beschrieben und quantifiziert werden, um die Reproduzierbarkeit von Messreihen zu erhöhen. Nur so könnten Fehlerquellen identifiziert und ausgeschaltet werden.
In einer soeben veröffentlichten Studie untersuchten die Ökonomen, warum so viele Forschungsarbeiten in den Verhaltenswissenschaften nicht oder nur eingeschränkt reproduzierbar sind. Sie argumentieren, dass etablierte Checklisten, die wichtige Aspekte der Untersuchungen transparent machen sollen, nicht ausreichten. Keine Studie in der Physik komme ohne eine Angabe der Messgenauigkeit aus, so der Wirtschaftswissenschaftler und Co-Autor Prof. Marko Sarstedt. „Zwar sind entsprechende Kalibrierungsangaben bei der Messung sozialer Phänomene nur schwer denkbar, aber nicht unmöglich.“ In der Studie plädieren die Ökonomen dafür, Konzepte aus den Naturwissenschaften in die Verhaltenswissenschaften zu überführen und zeigen anhand eines Rechenbeispiels, welche gravierenden Konsequenzen die Berücksichtigung von Messunsicherheit für ein scheinbar statistisch signifikantes Ergebnis haben kann.
Forscherinnen und Forscher der Verhaltenswissenschaften müssten versuchen, den Einfluss von Störfaktoren unmittelbar und vollständig in ihre Ergebnisse einfließen zu lassen. „Physiker, Ingenieure, Mediziner oder Biologen tun das, indem sie die Messungenauigkeit ihrer Instrumente, zum Beispiel, eines Thermometers oder einer Waage, angeben“, so Sarstedt. „Dasselbe müssten Verhaltensforscher wie Wirtschaftswissenschaftler und Psychologen bei der Messung von unbeobachtbaren Konzepten wie Zufriedenheit und Glück auch tun – auch wenn es schwerfällt.“
Nach dem Vorbild der Physik
Befasse sich die Physik in der Regel mit fest definierten und präzise messbaren Größen wie Längen, Massen und Temperaturen, seien Konzepte wie Zufriedenheit oder Glück nicht eindeutig definiert und würden je nach Forscherteam unterschiedlich gemessen und interpretiert. Aber trotz der Unterschiedlichkeit der Untersuchungsobjekte sei Reproduzierbarkeit nun einmal ein wesentlicher Baustein der Wissenschaft, so Sarstedt. Nur durch die wiederholte Bestätigung von Forschungsergebnissen könnten diese als tatsächlich gegeben angenommen werden.
„Protokolle in der Physik oder Biologie geben klare Richtlinien vor, die allerdings mit Blick auf die eher schwammigen Untersuchungsobjekte in unserer Disziplin angepasst werden müssten“, so der Wirtschaftswissenschaftler. „Ähnlich wie in der Physik, bräuchten wir Institutionen, die Standards für verhaltenswissenschaftliche Messungen etablieren und Unsicherheiten in Standardmessungen quantifizieren.“
Hintergrund der Studie ist, dass laut der Autoren viele Bereiche der sozialwissenschaftlichen Forschung in einer Replikationskrise stecken. So konnten in den letzten Jahren fundamentale Effekte in der Psychologie, Management- und Marketingforschung bei wiederholten Untersuchungen unter nahezu identischen Bedingungen nicht bestätigt werden. Seitdem bemühen sich diverse Forschergruppen um das Center for Open Science darum, Standards für empirische Studien zu definieren, um deren Replizierbarkeit zu erhöhen. Hieraus resultierten diverse Checklisten, die Forschern helfen sollen, wichtige Aspekte ihrer Untersuchungen zu dokumentieren und transparent zu machen.
Die Studie der Autoren Edward E. Rigdon (Georgia State University), Marko Sarstedt (Universität Magdeburg) und Jan-Michael Becker (Universität zu Köln) ist unter dem Titel Quantify uncertainty in behavioral research soeben in der renommierten Fachzeitschrift Nature Human Behaviour erschienen.