Mit Fotos Tabus brechen
Bei den Wörtern „Vorlesung“ oder „Seminar“ denken die meisten Menschen, wohl auch die meisten Studierenden, an einen vollen Vorlesungssaal, knappe Sitzplätze und den Kampf, alles zu verstehen. Diese Beschreibung mag auf einige Veranstaltungen zutreffen, aber keinesfalls auf die Seminare von Dozentin Jana Richter. In diesem Semester lernen 22 Studierende der Medienbildung in ihrer Veranstaltung „Visuelle Theorie – digital und crossmedial“ das Fotografieren von Grund auf und konzipieren ihre erste eigene Ausstellung. Das heißt, keine langweilige Online-Vorlesung oder ein Seminar über Zoom, sondern ganz viel Praxis und die Möglichkeit, sich selbst auszuprobieren und der eigenen Kreativität freien Lauf zu lassen.
Das zum Fotografieren viel mehr gehört, als nur mithilfe des Autofokus ein paar Schnappschüsse zu ergattern, weiß jeder, der „irgendwas mit Medien“ macht. Was allerdings wirklich alles beachtet werden muss, welche Wirkung verschiedene Einstellungen, Licht und Schatten auf die Bilder und somit auf die Betrachter:innen haben, das wird in dem Seminar zuerst einmal theoretisch von Jana Richter vermittelt. Aber wieso so viel Mühe machen und gleich eine ganze Ausstellung organisieren? „Dadurch, dass die Studierenden ihre Ausstellung selber konzipieren und bewerben sollen, bekommt das Fotografieren und somit das Seminar eine ernsthaftere und sinnhaftere Bedeutung. Wenn nur ich als Dozentin im Nachhinein die Bilder betrachte, gehen die Studierenden ganz anders an die Sache heran, als wenn sie ihre Bilder der Öffentlichkeit präsentieren müssen“, erklärt Jana Richter.
Die Aufgabe der Studierenden ist es, nicht „nur“ Bilder zu dem Thema „Identität und Verführung“ aufzunehmen, sondern auch das Marketing rund um die Ausstellung liegt in ihrer Hand. Einer der Teilnehmenden ist Flavio Roccuzzo, er studiert im zweiten Semester Medienbildung und konnte durch das Seminar einiges dazulernen: „Vor der Teilnahme an dem Seminar hatte ich wirklich keine Ahnung von Fotografie. Ich wusste, wie ich mit meinem Handy Fotos schieße, das war’s. Durch den praktischen Teil habe ich den Umgang mit einer Spiegelreflexkamera gelernt.“ Aber auch die Theorie hat Eindruck bei dem 23-Jährigen hinterlassen. „Ich habe jetzt ein ganz anderes Verständnis davon, wie man gute Fotos macht. Ich weiß jetzt, worauf man alles achten muss und wie ich die Wirkung des Bildes als Fotograf beeinflussen kann“, erklärt Flavio Roccuzzo.
Morgenritual (c) Flavio Roccuzzo
Die 22 Teilnehmer:innen des Seminars nutzen die Ausstellung, um auf Tabuthemen aufmerksam zu machen. In ihren Werken stellen sie unter anderem Süchte, Ängste und andere psychische Problemeatiken dar und wollen sie damit ein Stück weit enttabuisieren. Seminarteilnehmer Flavio zeigt in einer seiner ersten Fotografien seine alltägliche Sucht: „Auf dem Foto sieht man einen Espressokocher oder wie man auf meiner zweiten Muttersprache Italienisch sagt: una macchinetta del caffè. Dieses Ritual, mir einen Espresso zu kochen, führe ich täglich mindestens einmal durch. Espresso trinken ist für mich mittlerweile genauso Genuss wie Notwendigkeit. Man könnte sagen, ich bin süchtig nach Espresso – meine Laune hängt davon ab, also bin ich abhängig.“
Bei der Themenfindung hatten die Studierenden freie Hand. Gemeinsam haben sie das Logo entworfen, eine Marketingstrategie ausgearbeitet und Fotoideen gesammelt. Hierbei wurde sowohl auf die gängigen digitalen Plattformen, als auch auf analoge Werbemittel, wie Plakate und Flyer gesetzt.
Wer sich die Ergebnisse von „einsICHt – Zwischen Identität und Verführung“ anschauen möchte, kann sich bei der Ausstellung vom 11. bis 13. Juni in Ballenstedt bei „Kunst im Schaufenster“ begeistern lassen. Den Prozess hinter den Bildern, die Künstler selbst und erste Eindrücke findet ihr hier.
Die Erlöse aus dem Verkauf ihrer Werke spenden die Studierenden passend zum Thema ihrer Ausstellung an das Suchtberatungszentrum I - DROBS Magdeburg.