Wie steht es um "Nedderdütsch in Sassen-Anholt"?
Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftler der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg untersuchen, wie, wo und warum die Regionalsprache Niederdeutsch in Sachsen-Anhalt aktuell verwendet wird. Im Rahmen des vom Land Sachsen-Anhalt finanzierten Forschungsprojektes „Niederdeutsch in Sachsen-Anhalt“ sammeln sie in regionalen Hotspots Daten zum Stand des Gebrauchs, zum Grad der Kompetenz sowie über die möglicherweise identitätsstiftende Funktion der niederdeutschen Sprache im Bundesland. Darüber hinaus wollen sie fundierte Aussagen über die persönliche Einstellung der Menschen zu der jahrhundertelang in ihren Dörfern und Gemeinden gesprochenen Regionalsprache treffen. „Vereinfacht gesagt erforschen wir, wer mit wem über was und warum Niederdeutsch spricht“, erklärt Projektmitarbeiter Christian Sadel von der Fakultät für Humanwissenschaften.
Das Team unter gemeinsamer Leitung von Dr. Saskia Luther, Dr. Ursula Föllner und Prof. Dr. Kersten Sven Roth erhoffe sich vor allem Antworten darauf, ob und wann Sprecherinnen und Sprecher die Regionalsprache im Alltag verwenden, so Sadel: „Welche sozialen Funktionen hat das Niederdeutsche eigentlich noch in Zeiten globaler digitaler Kommunikation? Zu welchen Anlässen greifen die Menschen auf diese alte Sprache zurück? Warum engagieren sich viele Einwohner von Gladigau für ein plattdeutsches Theater im Ort, selbst wenn viele von ihnen gar nicht Niederdeutsch sprechen oder sogar verstehen können? Und warum strömen jedes Jahr hunderte von Besucherinnen und Besuchern, die des Niederdeutschen mitunter auch nicht mächtig sind, in den Dorfsaal, um das Theaterstück zu sehen? Das sind alles Dinge, die uns sehr interessieren.“ Darüber hinaus sei es für ihn als Sprachforscher spannend, zu untersuchen, wie stark das Medieninteresse am Thema Niederdeutsch sei und ob sich junge Menschen wieder für die Regionalsprache ihrer Urgroßeltern begeistern können oder deren Gebrauch eher ablehnten.
In den kommenden Monaten werden Sadel und sein Team im niederdeutschen Sprachgebiet mit möglichst vielen Menschen aller Altersgruppen Interviews und Umfragen durchführen. Statt auf eine umfassende Datenerhebung in vielen Orten, fokussiere sich das Projekt auf sogenannte Hotspots der Regionalsprache, so Germanist Sadel. Das habe den Vorteil, dass so eine qualitativere Untersuchung möglich sei, die z. B. besser erkennen lasse, welche sprachpolitischen Maßnahmen in der Region nötig seien. „Wir werden je einen oder zwei Orte aus dem Harz, der Börde und der Altmark einer genauen Betrachtung unterziehen, beginnend mit Westerhausen (Harz), Gladigau (Altmark) und Unseburg (Börde). Die Regionen entsprechen dabei den drei großen Varianten des Niederdeutschen in Sachsen-Anhalt, also dem Altmärker Platt, dem Harzer Platt und dem Plattdeutsch der Börde“, so der Sprachwissenschaftler.
Schon jetzt lasse sich feststellen, dass das Niederdeutsche in den verschiedenen Regionen durchaus lebhaft und vielfältig benutzt wird, so Sadel. „In Westerhausen, im Harz, wird zum Beispiel durch mundartliche Straßennamen-Schilder oder Hinweistafeln auf lokale Unternehmen das Niederdeutsche auf besondere Weise in den öffentlichen Raum integriert. Dem Dorf Gladigau in der Altmark sieht man seine niederdeutsche Seele nicht an, dafür findet seit über 20 Jahren das dortige Dorftheater rein Niederdeutsch statt und erfreut sich dadurch großer und überregionaler Beliebtheit“, erläutert Christian Sadel.
Niederdeutsch als Kulturgut
Der Wandel und auch das Verschwinden einer Sprache im Lauf der Geschichte sei indes etwas völlig Natürliches, erläutert der Sprachwissenschaftler. Wolle man aber aktiv gegensteuern, müsse viel dafür getan werden. Gründe dafür gäbe es genug, so der Germanist: „Niederdeutsch ist ein Kulturgut und macht unsere Gesellschaft sprachlich bunter und vielfältiger. Zum Schutz und auch zur Förderung dieser Regionalsprache hat sich übrigens die Bundesrepublik, beziehungsweise die Landesregierung Sachsen-Anhalts verpflichtet – mit der Ratifizierung der Europäischen Sprachencharta der Regional- oder Minderheitensprachen.“ Dennoch wüssten viele Menschen in Sachsen-Anhalt gar nicht, dass Plattdeutsch auch hierzulande zuhause und keineswegs nur im hohen Norden zu finden ist. „Würde das Niederdeutsche im öffentlichen Raum mehr Platz einnehmen, etwa durch Ortsschilder, Hinweistafeln oder auch in den Medien, könnte eine größere Sichtbarkeit gelingen. Ferner ist es nötig, die Generationsbrücken zu überwinden, also ältere Sprecherinnen und Sprecher und solche, die es werden wollen, zusammenzubringen. Ein guter Partner dabei wäre die Institution Schule, ein gelungener Schritt etwa die Einrichtung von mehr Plattdeutsch-AGs im ländlichen Raum“, meint der Wissenschaftler.
Die Ergebnisse des bis 2026 laufenden Forschungsprojektes sollen laut Christian Sadel zeigen, „dass Niederdeutsch in Sachsen-Anhalt noch immer lebendig ist, teilweise sogar identitätsstiftenden Charakter hat, auf ganz vielfältige Weise gelebt wird und wert ist, auch weiterhin gefördert zu werden“.