Typisch Sachsen-Anhalt? Sonderwege der politischen Entwicklung
Seit seiner Wiedergründung im Oktober 1990 ist die Politik im Land Sachsen-Anhalt durch Parteienkompromisse geprägt. Der Anteil der Wechselwähler ist überdurchschnittlich hoch; und insgesamt führten schwierige Rahmenbedingungen zu teilweise ungewöhnlichen politischen Lösungen. Mit seinen Koalitionen betrat Sachsen-Anhalt bereits zweimal politisches Neuland und war Wegbereiter für bis dahin unerprobte Regierungskonstellationen in Deutschland.
Das sind nur einige Ergebnisse eines Forschungsprojektes unter der Leitung der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. 25 Jahre nach der Wiedervereinigung hat ein interdisziplinäres Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eine Analyse zur Entwicklung des ostdeutschen Bundeslandes veröffentlicht. Es handele sich dabei um eine umfassende Darstellung von Institutionen, Akteuren und Politikfeldern in Sachsen-Anhalt und um einen Rückblick auf 25 Jahre Politik im Vergleich mit anderen ostdeutschen Bundesländern, erläutert Mitherausgeberin Sonja Priebus vom Institut für Gesellschaftswissenschaften der Universität Magdeburg.
„Wir sind in vielem Rekordhalter und Vorreiter“, so Sonja Priebus weiter. „2006 erreichte die Wahlbeteiligung bei der Landtagswahl mit etwa 44 Prozent ein Rekordtief, die Arbeitslosenquote war zeitweise doppelt so hoch wie im bundesweiten Durchschnitt. Erst Ende 2007 konnte Sachsen-Anhalt diese ‚Rote Laterne’ abgeben.“ 1994 sei darüber hinaus im Rahmen des Magdeburger Modells das erste Mal eine Minderheitsregierung von der PDS unterstützt worden. „Im April 2016“, so Priebus weiter, „bildeten CDU, SPD und Bündnis90/Die Grünen mit der sogenannten Kenia-Koalition abermals ein bundesweit unerprobtes Regierungsbündnis.“
Das interdisziplinäre Autorenteam sucht in insgesamt 24 Buchkapiteln nach Antworten darauf, was das Land in den letzten 25 Jahren prägte und was als typisch sachsen-anhaltischer Sonderweg auszumachen sei. Die Politikwissenschaftler, Historiker, Sozialwissenschaftler und Juristen untersuchen die schwierigen Umstände der Landesgründung, beschäftigen sich mit dem radikalen Sparkurs nach Jahren massiver Verschuldung, beschreiben die Folgen des demographischen Wandels, gehen auf Strukturprobleme auf dem Arbeitsmarkt ein, analysieren die von Strukturumbrüchen begleitete Innovationspolitik, evaluieren Wissenschaft- und Umweltpolitik. Außerdem suchen sie nach Gründen für den Erfolg der Alternative für Deutschland bei der Landtagswahl 2016 und gehen auf die aktuellen Herausforderungen und Chancen für Sachsen-Anhalt ein.
Neben den wissenschaftlichen Analysen kommen zudem mit Wolfgang Böhmer und Rüdiger Erben auch zwei politische Praktiker zu Wort und bereichern das Buch um die Perspektive der Insider.
Das über 400 Seiten umfassende Buch wurde jüngst vom Wissenschaftsverlag Springer VS veröffentlicht. Eine online-Version steht zur Verfügung.
Zur Publikation
H. Träger, S. Priebus (Hrsg.): Politik und Regieren und Sachsen-Anhalt, Springer VS, Wiesbaden 2017