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Neue Werkstoffe für neue Herausforderungen

Energiewende, Rohstoffknappheit, Globalisierung – unsere Gesellschaft, unsere regionale Industrie und die globale Wirtschaft stehen vor ganz neuen Herausforderungen. Um diesen modernen Ansprüchen an Mobilität, Urbanisierung oder Digitalisierung gerecht zu werden, sind innovative Technologien gefragt. Sie müssen den technischen Fortschritt gewährleisten, gleichzeitig aber auch Gesundheit und Lebensqualität der Menschen erhalten und dazu einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen sicherstellen.

Herkömmliche Materialien als Grundlage neuer Technologien stoßen schnell an die Grenzen ihrer Einsatzmöglichkeiten: Flugzeuge müssen lange Distanzen bei extremen Temperaturen überwinden können, neue Computer- und Regelungstechniken verlangen neue Materialien mit speziellen Eigenschaften, die Anforderungen der Autoindustrie fokussieren immer stärker auf Sicherheit. Die Entwicklung innovativer, leistungsfähiger metallischer und intermetallischer Werkstoffe steht im Mittelpunkt der Forschergruppen „Metallische Werkstoffe“ und „Spezielle Metallische Werkstoffe“ des Instituts für Werkstoff- und Fügetechnik an der Fakultät für Maschinenbau. So liegt das Augenmerk der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf metallischen Hochtemperaturwerkstoffen, wie sie beim Bau von Turbinen für Kraftwerke oder in Flugzeugtriebwerken eingesetzt werden, sowie Stählen und Leichtbauwerkstoffen für den Karosseriebau oder Haushaltswaren.

Hohe Temperatur, hohe Wirkung

Zu Zeiten von Dampfmaschinen überstiegen die Arbeitstemperaturen die 500 °C nicht wesentlich. In modernen Turbinen werden heute Temperaturen von 1.400 °C und mehr erreicht. Hier und auch beim Hochofenbau, in der Verfahrenstechnik oder im Aggregatebau kommen Hochtemperaturwerkstoffe zum Einsatz. Diese hat Juniorprofessorin Manja Krüger in den Fokus ihrer Forschungsarbeit gerückt. Derzeit sind Nickelbasis-Superlegierungen, die Temperaturen bis zu 1.100 °C aushalten, im Einsatz. In Turbinen – ob in Flugzeugen oder Gasturbinen zur Stromerzeugung – gilt: Je höher die Verbrennungstemperatur, desto höher der Wirkungsgrad. „Die thermodynamischen Stellgrößen – Druck und Temperatur – sind verhältnismäßig leicht zu variieren“, schildert Manja Krüger. „Schwieriger wird es da schon bei den Werkstoffen für die Brennkammer, in der die Verbrennungsprozesse ablaufen. Sie dürfen nicht unter der hohen Verbrennungstemperatur leiden. Hier liegt die große Herausforderung für die Werkstoffwissenschaft: Die neuen komplexen Hochtemperaturwerkstoffe müssen also so designt werden, dass sie höhere Temperaturen, und dabei sprechen wir von bis 1.200 °C, ertragen können, ohne dass sie Schaden nehmen.“

Ohne Materialforschung ist Fortschritt nicht möglich: vom Werkstoff zur Innovation

Das extrem heiße Gas trifft auf die Turbinenschaufel, die durch den Gasdruck mit sehr hohen Geschwindigkeiten rotiert und durch besonders hohe Zentrifugalkräfte belastet wird. Eine Turbinenschaufel müsse also bei extremen Temperaturen und enormen Krafteinwirkungen immer noch eine hohe Festigkeit aufweisen, und das über eine möglichst lange Nutzungsdauer. Aber wie entsteht ein neuer Werkstoff? „Da geht es ein bisschen zu wie in der Hexenküche“, sagt Juniorprofessorin Dr.-Ing. Manja Krüger mit einem Augenzwinkern. „Nein, im Ernst. Wir sondieren im ersten Schritt, welche Elemente des Periodensystems bei hohen Temperaturen schmelzen. Da sind beispielsweise Molybdän, das eine Schmelztemperatur von etwa 2.600 °C erreicht, oder Wolfram, dessen Schmelztemperatur bei etwa 3.400 °C liegt. Diese Elemente allein sind allerdings nicht für den Bau von Turbinenschaufeln nutzbar, da sie viel zu weich sind und sich unter mechanischer Belastung verformen. Im nächsten Schritt überlegen wir, welche Elemente hochfeste Verbindungen eingehen“, erläutert die Ingenieurin weiter. „Mit der Zugabe weiterer Elemente – Silizium, Bor, Chrom u. a. – verändern wir die Kristallstruktur. Einfach gesagt: Je komplexer die Kristallstruktur wird, desto fester wird der Werkstoff. Wir suchen nun den optimalen Partner für unseren Basiswerkstoff, der möglichst komplizierte Kristallstrukturen erzeugt. Typischerweise sind das Verbindungen aus mindestens zwei Metallen, die sogenannten intermetallischen Phasen. Sie sind extrem fest, hochschmelzend und meist auch korrosions- und oxidationsbeständig sowie sehr komplex in ihren Kristallstrukturen.“

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Diese Kristallstrukturen beschäftigen auch Professor Thorsten Halle. Er untersucht Stähle, Leichtbauwerkstoffe und andere Metalle: „Durch gezielte Veränderung der inneren Struktur können wir Werkstoffe mit maßgeschneiderten Eigenschaften erzeugen. Betrachten wir die Mikrostruktur beispielsweise von Stählen, so sind es Polykristalle, die zusammengesetzt sind aus vielen kleinen Körnern. Deren Größe, Aufbau, Grenzflächen und Anordnung bestimmen die makroskopischen Eigenschaften der Werkstoffe. Je kleiner die Korngröße, desto höher ist die Festigkeit, dies wiederum beeinflusst die Verformbarkeit.“ Nun versuchen die Magdeburger Forscher, z. B. die Größe der Kristallite durch verschiedene Fertigungsverfahren wie Kaltwalzen, Schmelzen oder Wärmebehandlung zu variieren. Wie ein verändertes Temperatur-Zeit-Regime bei der Wärmebehandlung die Korrosionseigenschaften von Küchenmessern verbessert, ist da ein ganz praktisches Beispiel. Jede Hausfrau würde nur allzu gern die „guten“ Messer in die Spülmaschine tun, doch allzu schnell stellt sich dann bei den teuren Küchenhelfern Lochkorrosion ein. Ein Problem, das die Industrie sehr beschäftigt und dem am Lehrstuhl Metallische Werkstoffe nachgegangen wird.

Dabei kann die notwendige chemische Zusammensetzung der Stahlwerkstoffe im Computer modelliert werden. Stahl ist eine Legierung, die neben dem Hauptbestandteil Eisen nicht mehr als 2,06 Prozent Kohlenstoff und weitere Legierungselemente enthält. Die Modifikation der Legierungselemente kann die verschiedensten Eigenschaften beeinflussen: Der Anteil von Chrom wirkt sich auf die Korrosionsbeständigkeit aus. Der Zusatz von Nickel verändert die Zähigkeit, während das Zufügen von Molybdän die Wärmefestigkeit erhöht. „In welchem Anteil die Legierungselemente dem Stahl zugefügt werden und in welchem Maße sich dadurch die Eigenschaften des Werkstoffs ändern, simulieren wir am Rechner, ebenso wie die Bildung der Mikrostruktur“, erläutert Professor Halle.

Fingerspitzengefühl bei der Kombination

Auch das Team um Juniorprofessorin Krüger simuliert auf Basis der Zusammensetzung der neuen Hochtemperaturwerkstoffe bestimmte Eigenschaften abhängig von der späteren Verwendung. Die hochfesten Komponenten, also die intermetallischen Phasen, werden mit den hochschmelzenden Metallen wie Molybdän oder Wolfram kombiniert, so dass Verstärkungsstrukturen entstehen. Die festen Phasen können dann als Partikel oder Fasern in eine Matrix eingebaut werden. Das verlange Fingerspitzengefühl, so Manja Krüger. „Das ist nicht trivial, denn die intermetallischen Phasen stellen wir selbst her.“ Für die Hochzeit der intermetallischen Phasen mit den hochschmelzenden Metallen gibt es zwei Verfahrensweisen, welche die Magdeburger Forscherin nutzt: den Schmelzprozess und den pulvermetallurgischen Prozess. Der Schmelzprozess ermöglicht eine gerichtete Erstarrung, die es erlaubt, die Fasern „in situ“, also im Prozess des Schmelzens, in einer bestimmten Richtung mit der Matrix zu verbinden. Die Wissenschaftler können das Volumen und den Anteil der faserartigen Mikrostruktur sowie deren Orientierung ganz genau steuern und darüber die Eigenschaften des hochreinen Werkstoffs festlegen. Bei Schmelztemperaturen um die 2.000 °C kein leichtes Unterfangen. Diese gerichtet erstarrten Werkstoffe eignen sich besonders gut für eine einachsige Zugbeanspruchung, wie sie z. B. bei Schaufeln in Gasturbinen auftreten, sind jedoch durch einen hohen Energieeinsatz sehr kostenintensiv in der Herstellung.


Beim pulvermetallurgischen Verfahren werden Elemente, wie z. B. Molybdän, Silizium oder Bor, beliebig kombiniert in einer Spezialmühle unter einem festgelegten Energieeintrag gemahlen. Das Ganze geschieht unter Schutzgas, da die Pulver sofort mit dem Luftsauerstoff reagieren würden. Nach dem Mahlen haben sich die Elemente auf atomarer Ebene vermischt. Die Ursprungselemente sind nicht mehr in Reinform vorhanden. Das Mahlgut wird bei bis zu 1.600 °C gepresst und Verstärkungsphasen bilden sich als Teilchen aus. Diese teilchenverstärkten Werkstoffe taugen für den Einsatz bei sich überlagernden Beanspruchungen – Zug, Druck, Biegung, Torsion – und sind günstiger in der Herstellung. Welches der beiden Verfahren – Schmelze oder Pulvermetallurgie – sich in der Praxis für die Herstellung der neuen Hochtemperaturwerkstoffe eignet, ist Gegenstand aktueller Forschungen.
Oder wird es möglicherweise eine ganz andere Fertigungstechnologie sein, welche die junge Wissenschaftlerin und ihr Team gemeinsam mit dem ortsansässigen Unternehmen CITIM für ihre Werkstoffe derzeit erprobt? OVGU-Absolventen haben die Firma mit Sitz in Barleben gegründet.

Probeneinbau

Auf Herz und Nieren prüfen

Für die additive Fertigung von Bauteilen mittels Selective Laser Melting, einem speziellen Schmelzverfahren durch Laserstrahl, werden aus einem Pulverbett bereits Bauteile hergestellt. Das ist nicht neu. Nun aber müssen sich die neuen Legierungen aus dem Institut für Werkstoff- und Fügetechnik unter dem Laserstrahl bewähren. Erste Pröbchen sind gefertigt, liegen bereits unter dem Rasterelektronenmikroskop und werden von dem Wissenschaftlerteam auf Herz und Nieren, sprich auf mechanische Belastbarkeit, Wiederstand gegen Rissinititierung und -ausbreitung sowie Temperaturfestigkeit, geprüft. Dafür steht ihnen ein ganzer „Gerätepark“ im Gebäude 50 zur Verfügung. Dazu gehören spezielle Werkstoffprüfmaschinen, z. B. sogenannte Kriechprüfstände, die Langzeitzug-, -druck- und -biegeversuche bei Temperaturen bis 1.200 °C ermöglichen. Diese zeigen, wie sich der Werkstoff bei geringster Beanspruchung über einen definierten Zeitraum verformt. Mit einer Ionenstrahl-Anlage können gezielt Oberflächen abgetragen und eine regelrechte Topographie der Oberfläche erzeugt werden. Damit lässt sich die Verteilung der Partikel im unteren Mikrometerbereich auswerten. So können Rückschlüsse gezogen werden, ob die gewünschten Werkstoffeigenschaften auch erreicht wurden oder weiter optimiert werden muss. Auch die neugestalteten Stähle von Professor Halle werden unter die Lupe genommen und einer mechanischen Prüfung unterzogen, Härte und Festigkeit gemessen, Fließkurven erstellt, um zu erfahren, ob die vorher im Computer berechneten Eigenschaftsanpassungen erreicht wurden.
Noch immer sind metallische Werkstoffe im Maschinenbau dominierend, doch die Anforderungen an Zuverlässigkeit und Lebensdauer erhöhen sich ständig. Optimale und maßgeschneiderte Lösungen für individuelle Aufgabenstellungen zu finden, das haben sich die Werkstoffwissenschaftler Juniorprofessorin Manja Krüger und Professor Thorsten Halle mit ihren Teams vorgenommen, dafür forschen sie, modifizieren altbewährte Materialien und entwickeln neue metallische und intermetallische Werkstoffe.

 

Wussten Sie schon, dass ...

werkstoffe1 ...ganze Entwicklungsepochen der Menschheit nach den jeweils zu jener Zeit zur Verfügung stehenden Materialien benannt worden sind: Steinzeit, Bronzezeit und Eisenzeit? Der Einsatz von Werkstoffen zieht sich durch die gesamte Menschheitsgeschichte und ist wesentliche Triebfeder für technologischen Fortschritt. Werkstoffe sind elementare Ausgangs- und Grundstoffe für Produkte, Erzeugnisse, Werkstücke, deren Qualität und Eigenschaften durch die Wahl geeigneter Werkstoffe entscheidend beeinflusst werden.
werkstoffe2 ...bereits die Hethiter vor ca. 3500 Jahren einfachen Stahl für die Fertigung von Waffen herstellten? Stähle sind metallische Legierungen, deren Hauptbestandteil Eisen ist. Sie haben einen Kohlenstoffgehalt von weniger als 2,06 Prozent und sind umformbar. Heute sind im Register europäischer Stähle über 2.500 Stahlsorten (Stand: 2013) aufgelistet. Weltweit werden jährlich etwa 1,6 Milliarden Tonnen Stahl hergestellt (Stand 2014).
werkstoffe3 ...Gold, Silber und Kupfer seit dem 8. Jahrtausend v. Chr. technisch genutzt werden? Zunächst als elementar vorkommende Metalle, später auch als Legierung. Die erste Legierung war Bronze. Ihre Herstellung setzte Bergbau und Verhüttungstechniken voraus. Die immer bessere Beherrschung dieser Technologien führte bald dazu, dass auch Eisen verhüttet werden konnte. Die Metallbearbeitung ermöglichte die Herstellung komplex geformter Werkzeuge und Bauteile, die schließlich durch die Erfindung der Dampfmaschine die industrielle Revolution einleitete.
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...Absolventen der Universität Magdeburg das Start-up Powder Technologies gründeten? Durch Pulvermetallurgie können Bauteile mit sehr hoher Genauigkeit, geringem Materialeinsatz sowie komplexen geometrischen Formen ressourcenschonend gefertigt werden. Das Start-up entwickelt Konzepte, um individuell abgestimmte metallische Pulver von hoher Materialqualität als Ausgangsstoff für pulvermetallurgische Erzeugnisse bereitzustellen. Anwendung finden pulvermetallurgische Fertigungsverfahren in der Automobil-, Luft- und Raumfahrtindustrie, der Medizintechnik, der Elektrotechnik und der Konsumgüterindustrie.

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Neue Verbindungen von Mensch und Maschine

Zwischen einem Computer und dem menschlichen Gehirn bestehen nur wenige Gemeinsamkeiten. Das Gehirn ist so komplex und dynamisch, dass wir Menschen noch weit davon entfernt sind, es zu verstehen. In einem EU-Projekt hat ein internationales Team unter Leitung von Professor Jochen Braun vom Institut für Biologie der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg wesentliche Funktionsmerkmale von biologischen Nervenzell-Netzwerken und von künstlichen Netzwerken aus Halbleiterbauelementen erforscht. Bei der direkten elektrischen Kopplung zwischen den biologischen und mikroelektronischen Netzwerken konnte spontan Information übertragen werden. Damit wurde das Prinzip einer neuartigen „sanften“ Schnittstelle zwischen Gehirn und Computer etabliert.

Hilfe für Parkinson- oder Schlaganfallpatienten

Die Neuroprothetik ist ein noch junger Zweig der Medizin, der erst wenige Jahrzehnte alt ist. Das Ziel ist es, durch Unfälle oder Krankheiten ausgefallene Hirnleistungen mit Hilfe elektronischer Implantate so gut es geht zu kompensieren. Die dabei bereits erzielten Ergebnisse sind nicht nur für medizinische Laien erstaunlich. Mit einem einzigen Knopfdruck lässt sich beispielsweise das unwillkürliche Zittern der Gliedmaßen von Patienten mit einer Parkinson-Erkrankung (Schüttellähmung) unterdrücken. Möglich macht es die sogenannte Tiefe Hirnstimulation (Deep Brain Stimulation). Dazu implantieren Neurochirurgen ein bis zwei dünne Elektroden in zuvor mit MRT-Bildgebungsverfahren lokalisierte, tief unter der Schädeldecke liegende Hirnregionen. Die Elektroden sind mit einem Impulsgeber etwa von der Größe einer Kreditkarte verbunden, der im Bereich der Brust oder im Oberbauch unter die Haut eingepflanzt wird. Die von diesem Gerät abgegebenen elektrischen Impulse lassen sich so einstellen, dass sie die Nervenzellaktivität im Gebiet der implantierten Elektroden derart verändern, dass der Tremor, also das Zittern, nahezu verschwindet. Die Folge: Der Patient kann wieder relativ normal laufen bzw. die Hände kontrolliert bewegen.

Weltweit forschen Wissenschaftler an Neuroprothesen, die viele andere Funktionen des erkrankten oder verletzten Gehirns übernehmen könnten. Dazu zählen beispielsweise intelligente Arm- und Gangprothesen für Patienten, die als Folge einer schweren Erkrankung (z. B. Schlaganfall bzw. Amyotrophe Lateralsklerose) oder eines Unfalls (z. B. Verlust von Gliedmaßen bzw. eine Querschnittslähmung) ihrer motorischen Fähigkeiten beraubt wurden.

Die Neuroprothesen greifen elektrische Spannungsverschiebungen in Teilen des Gehirns ab, die für die Planung und Koordinierung von Bewegungen wichtig sind. Die im Rechner verarbeiteten Daten werden dann auf künstliche Neuroprothesen übertragen, mit deren Hilfe Patienten lernen, ihre Behinderung zu überwinden.

Neuroprothetik für Patienten am Magdeburger Universitätsklinikum

Die Universitätsklinik für Stereotaktische Neurochirurgie in Magdeburg, unter der Leitung von Prof. Dr. Jürgen Voges, zählt zu den vergleichsweise wenigen Einrichtungen an deutschen Universitäten, an denen diese Eingriffe in das menschliche Gehirn möglich sind. Die Forscher dort untersuchen darüber hinaus, ob die Tiefe Hirnstimulation künftig auch zur Therapie neuropsychiatrischer Erkrankungen wie der Alkoholsucht und von Zwangsstörungen geeignet ist.

Auch an der Magdeburger Universitätsklinik für Hals-Nasen-Ohren-Erkrankungen, unter Leitung von Prof. Dr. Christoph Arens, setzen Mediziner bereits Neuroprothetik ein. Die HNO-Ärzte sprechen von sogenannten Cochlea-Implantaten (CI). Diese können teilweise Funktionen des Innenohres übernehmen. Sie wandeln die am Ohr eintreffenden Schallwellen in elektrische Signale um und leiten diese weiter zum auditorischen System des Gehirns. Störungen der Hörsinneszellen im Innenohr lassen sich so technisch korrigieren.

Bislang sind diese Geräte noch unvollkommen. Ihre Nutzung erfordert von den Betroffenen viel Training, wobei in erster Linie die Adaptionsfähigkeit und Plastizität des menschlichen Nervensystems genutzt wird. Neurobiologen, Informatiker, Mathematiker und Physiker arbeiten bereits an Schnittstellen, die besser mit den Nervenzell-Netzwerken im Gehirn interagieren können. Voraussetzung für den Erfolg ist es, die Funktionsweise des Gehirns besser zu verstehen.

 

Sie möchten mehr über die Forschung an Neuroprothesen erfahren?

Dann lesen Sie den vollständigen Beitrag in der multimedialen App Guericke mag - dem digitalen Pendant zum Forschungsmagazin der Universität.

 

Autor: Uwe Seidenfaden

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Auf den Spuren krimineller Datenflüsse

Der Betrug bleibt zunächst meist unbemerkt: Der Bankkunde schiebt die EC-Karte in den Schlitz des Geldautomaten, tippt seine PIN ein, nimmt das Geld und die Karte und geht wieder. Was er nicht weiß: Er ist gerade Opfer eines Datendiebstahls geworden. Der Kartenschlitz des Geldautomaten ist manipuliert. „Skimming“ nennt sich die Methode, bei der durch technische Manipulation von Geldautomaten Kartendaten ausgelesen und auf leere Kartenrohlinge – sogenanntes „White-Plastic“ – kopiert werden. Die Täter erbeuten mit einer am Automaten angebrachten Kamera auch die PIN des Karteninhabers. Mit der gefälschten Karte und der Geheimnummer können die Betrüger das Konto ihres Opfers leerräumen.

Das Skimming ist nur eine von zahlreichen neueren Methoden, mit denen Einzeltäter oder auch organisierte Banden Geld erbeuten. Die digitalisierte und automatisierte Welt öffnet abseits des guten alten Banküberfalls neue Türen für Finanzkriminalität. Mit gefälschten Ausweisdokumenten gelangen Kriminelle etwa an Online-Kredite, die sie nie zurückzahlen. Gestohlene Kreditkartendaten werden online zu Geld gemacht. Beim „RAM Scraping“ erbeutet eine Schadsoftware gar Kreditkarten- und andere Zahlungskartendaten, die beim bargeldlosen Bezahlen an der Supermarktkasse oder im Kaufhaus ausgelesen werden. Auch gesprengte Geldautomaten sorgen derzeit vermehrt für Schlagzeilen.

Auf ein wissenschaftliches Gespräch mit Straftätern

„Geld zu entwenden war natürlich schon immer ein Thema“, erklärt der Informatiker Ronny Merkel. „Und mit dem Aufkommen digitaler Systeme tauchen dann mit zeitlicher Verzögerung die entsprechenden Straftaten auf, die diese Systeme angreifen. Meistens, wenn die Technik neu ist und noch nicht ausreichend getestet wurde.“ Der Forscher untersucht in einem interdisziplinären Verbundprojekt gemeinsam mit Wissenschaftlern aus Darmstadt und Bochum und mit Bundeskriminalbeamten, welche Wege das Geld, die Daten und das Know-how bei diesen meist organisierten Finanzdelikten nehmen. Das Ziel des vom Geldautomatenhersteller Wincor Nixdorf koordinierten Projekts ist es, die polizeiliche Aufklärung zu unterstützen und Präventionsvorschläge zu erarbeiten. Wissenschaft, Ermittlungsbehörden und Industrie arbeiten eng zusammen, um die jeweiligen Expertisen einfließen zu lassen und die Forschung so praxisorientiert wie möglich zu gestalten. Das Magdeburger Teilprojekt, das von Professorin Jana Dittmann geleitet wird, befasst sich mit der Modellierung der Geld-, Daten- und Wissensflüsse und bezieht psychologische Aspekte ein. Um den Herausforderungen des Projekts gerecht zu werden, ließen die Magdeburger Informatiker ihre Welt aus Codes, Programmiersprachen und Modellen zunächst weit hinter sich. In einem ersten Schritt sammelten und bündelten sie das Wissen über Finanzdelikte und gingen dafür zu jenen, die Experten auf diesem Gebiet sind: zu den Ermittlern – und den Tätern.

In Experteninterviews befragten sie zunächst etwa Beamte aus Sonderkommissionen für Geldautomatensprengung sowie Kriminaltechniker und Ermittler des Bundeskriminalamtes BKA. Welche Herausforderungen sehen die Experten? Wie sind ihre Arbeitsabläufe? Wo sehen sie ihre Bedürfnisse noch nicht erfüllt? Mit einem Fragenkatalog verschafften sich die Informatiker einen Überblick über den kriminalistischen Umgang mit Finanzdelikten. Auch Wincor Nixdorf lieferte aus der Sicht der Endanwender wertvolle Informationen für die Forscher.

Um das Bild zu komplettieren, betrachteten die Wissenschaftler auch die andere Seite. Deutschlandweit befragten sie Täter, die in den Justizvollzugsanstalten wegen verschiedenster Delikte Strafen verbüßen müssen. Die zahlreichen bürokratischen Hürden, die für eine solche Befragung überwunden werden müssen, schreckten die Wissenschaftler nicht ab. Gemeinsam mit dem Kriminologischen Dienst und den Justizvollzugsanstalten ermittelten sie anhand der Paragrafen des Strafgesetzbuches, gegen welche die Täter verstoßen hatten, geeignete Interviewpartner. Stimmten diese einer Befragung zu, machten sich die Wissenschaftler auf den Weg in die Gefängnisse. „Die meisten Täter waren bereit für ein Interview“, erklärt Merkel. Allerdings nehme diese Bereitschaft ab, je organisierter die Strukturen sind, in denen sich der Täter bewegt, schränkt der Forscher ein. „Der Fluss von Geld, Daten und Wissen spielt natürlich in ganz verschiedenen Straftaten eine Rolle“, betont Ronny Merkel. Die kontaktierten Täter hatten dementsprechend vielfältige kriminelle Biografien. Auch Täter, die in Drogendelikte verwickelt waren und damit etwa über Kenntnisse zur Geldwäsche verfügten, waren für die Wissenschaftler interessant. Woher erhalten die Täter ihr Wissen? Wie wurden sie angeworben? Was geschieht mit den gestohlenen Daten und dem erbeuteten Geld? Über welche Kanäle gelangen sie an die technischen Mittel für ihre Taten? Mit diesen und ähnlichen Fragen versuchte das Team in über 30 Interviews an möglichst viele Informationen zu gelangen. Auch für das soziale Umfeld und die persönlichen Umstände sowie mögliche Tatmotive interessierten sich die Forscher. „Eigentlich gab es in jedem Interview eine kleine Überraschung“, sagt Merkel rückblickend. „Es sind immer andere Geschichten und andere Schicksale.“
„Unsere Expertise ist, dass wir die Technik und die Psychologie in diesem Projekt miteinander verbinden können“, sagt Ronny Merkel. Denn sein Magdeburger Mitarbeiter ist promovierter Psychologe. Besonders während der Täterinterviews sei dieses psychologische Wissen sehr nützlich gewesen – auch um die erhaltenen Informationen besser einschätzen und einen Blick auf mögliche Beweggründe werfen zu können. Diese sind so unterschiedlich wie die Täter. Während der eine schlicht seinen hohen Lebensstandard finanzieren wolle, habe ein anderer keinen anderen Ausweg aus einer Notlage gesehen. Auch Neugier sei mitunter ein Motiv, erklärt Merkel.

Mit der Intelligenz der Informatik gegen das organisierte Verbrechen


Neben dem Expertenwissen, das Täter und Ermittler zur Verfügung stellten, nutzte das Forscherteam auch all jene frei verfügbaren Quellen – die „Open Source Intelligence“ –, die Wissen über Kriminalität im Finanzbereich, über Methoden der Täter, mögliche Angriffsziele oder Schwachstellen im System liefern. Auch im Darknet – dem anonymisierten Teil des Internets – recherchierten sie, auf welchen Wegen Täter an illegale Werkzeuge wie Skimmer oder Kartenrohlinge gelangen oder auf welchen Plattformen Kreditkartendaten verkauft werden.

Informatik_item Als Darknet wird der versteckte Teil des Internets bezeichnet, in dem die Nutzer anonym surfen. Die genaue Zuordnung zu einer IP-Adresse ist dabei erschwert. Wichtige Daten werden verschlüsselt übertragen. Über herkömmliche Browser und Suchmaschinen ist das Darknet nicht zu erreichen. Ursprünglich wurde das „dunkle Netz“ erfunden, um anonyme Kommunikation zu ermöglichen und damit etwa Whistleblower und Menschenrechtsaktivisten aus autoritären Staaten zu schützen. Das Darknet ist jedoch auch Plattform für Kriminelle, die in Börsen Waffen, Drogen oder gestohlene Kreditkartendaten anbieten und verkaufen.


Im nächsten Schritt kehrten die Wissenschaftler zur Informatik zurück und ließen die gewonnenen Erkenntnisse in ein Modell einfließen. „Unser Modell soll zum einen die Ermittlungen erleichtern und auch zukünftige Trends abschätzen“, erklärt der Forscher. Daraus ließen sich dann entsprechende Präventionsmaßnahmen ableiten. Mit dem neuen Instrument, das kurz vor dem Abschluss steht, können Kriminalbeamte künftig leichter erkennen, wie die einzelnen Komponenten eines Finanzverbrechens miteinander verbunden sind.

Dazu benutzten die Informatiker eine Methode, die sie „Semantische Modellierung“ nennen. „Die Semantik in der Modellierung wurde erstmalig vom Erfinder des World Wide Web, Tim Berners-Lee, aufgegriffen“, sagt Ronny Merkel. Das Besondere an der Methode ist, dass sie Informationen miteinander verknüpfen kann. Damit ist es möglich, nicht nur eine Vielzahl von verschiedenen Informationen in einer Datenbank zu sammeln, sondern auch das Wissen darüber zu speichern, welche Beziehung es zwischen ihnen gibt.

Die grundlegende Datenstruktur ist für die Forscher dabei ein sogenanntes „Triplett“. Zwei Sachverhalte, sogenannte Entitäten, das können etwa ein Täter und ein bestimmter Geldautomat sein, sind über eine Relation miteinander verbunden. In diesem Fall zum Beispiel: Täter A. raubt Geldautomat Nr. 13 aus. Aus zahlreichen Tripletts entstehen komplizierte, netzartige Grafen, in denen kleine Kästchen, die für die verschiedenen Entitäten stehen, am Bildschirm mit farbigen Linien miteinander verbunden sind.

Die dokumentierten Fälle, die die Forscher in ihren Interviews erfragt hatten, konnten sie so nach und nach grafisch abbilden. Zugleich liefert das Modell zusätzliche Informationen, die über die einzelnen Fälle hinausgehen. Klickt ein Ermittler etwa auf das Kästchen mit der Aufschrift „Täter A.“ öffnet sich ein weiteres Fenster auf seinem Bildschirm, in dem sämtliche Informationen über diesen grafisch sichtbar werden. Hat Täter A. bereits andere Geldautomaten ausgeraubt? Mit wem arbeitet er zusammen? Ist er in weitere Delikte verwickelt? Welche Werkzeuge benutzt er für seine Taten? Und noch weiter: Wurden diese Werkzeuge – etwa Skimmer, mit denen die Kartenschlitze von Geldautomaten manipuliert werden – bereits von anderen Tätern benutzt? Gibt es Kontakte zwischen den Tätern, etwa weil sie zurselben Zeit im selben Gefängnis saßen?

Digitale Ermittlungsarbeit

„Im Prinzip macht unser Modell das Gleiche wie ein klassisch arbeitender Ermittler“, sagt Ronny Merkel. Auch dieser sammelt Informationen und versucht, Zusammenhänge herzustellen.

Mit dem erforschten Instrument soll der Ermittler diese Zusammenhänge schneller und präziser finden. Gerade im Bereich der organisierten Kriminalität ist die Suche nach den bestehenden Verbindungen eines kriminellen Netzwerks mühsam und zeitaufwendig. Zusätzlich wollen die Informatiker ihr Modell so trainieren, dass es auch logische Schlüsse ziehen und diese dem Ermittler vorschlagen kann. Wenn etwa Täter A. und Täter B. denselben Geldautomaten zu unterschiedlichen Zeitpunkten angegriffen haben, gibt es möglicherweise eine Verbindung zwischen beiden. Der Demonstrator wird nun an Beispielfällen getestet und steht anschließend für eine weiterführende Erforschung zur Verfügung. „Wir machen natürlich Grundlagenforschung“, betont Ronny Merkel. Bevor das Werkzeug bei den Ermittlungsbehörden zur Anwendung kommt, muss es auf seine Praxistauglichkeit getestet und erweitert werden. „Wenn es praktikabel ist, wird es akzeptiert“, ist Merkel überzeugt. Der Forscher ist optimistisch, dass sich der Ansatz bewähren wird. Der Vorteil liegt schließlich auf der Hand: Anstatt umfangreiche Akten über vergangene Fälle zu wälzen, genügt künftig eine digitale Suche.

 

Autorin: Heike Kampe

 

"Teile dieser Veröffentlichung entstanden aus dem Forschungsvorhaben „Organisierte Finanzdelikte - methodische Analysen von Geld-, Daten- und Know-How-Flüssen (INSPECT)“ mit dem Förderkennzeichen 13N13473, welches vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird." 

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Frauen-Power in der Wissenschaft

Urte Kägebein strahlt Begeisterung aus. Ihre Augen leuchten allein bei den drei Buchstaben MRT. „In der Magnetresonanztomografie stecken immer wieder Überraschungen“, sagt sie und meint die Bilder aus dem Körperinneren des Menschen. Brilliante Schnittbilder liefern mittels der MR-Methode dreidimensionale Informationen über Form, Struktur und Zustand der untersuchten Körperregionen und Organe. „Man kann auch die Fließgeschwindigkeit der Körperflüssigkeit und die Elastizität des Gewebes messen“, ist Urte Kägebein fasziniert von den technischen Möglichkeiten.

Die junge Frau aus dem altmärkischen Klötze sieht nichts Besonderes darin, dass sie als Frau ein MINT-Fach studiert hat: Elektrotechnik und Informationstechnik an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Urte Kägebein gibt zu: Die Neigung zu Mathe und Physik sei ihr vermutlich in die Wiege gelegt worden. Beide Eltern sind Mathe- und Physiklehrer. MINT steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik.

Mädchen haben mitunter bessere Zensuren in diesen Fächern als Jungen. Trotzdem rümpfen sie die Nase bei dem Gedanken, beruflich darauf aufzubauen. Sie erkenne ein unterschiedliches Verhalten beider Geschlechter, sagt die 28-Jährige: „Frauen schätzen die Anforderungen einer Aufgabe kritischer ein, unterschätzen aber oft ihre eigenen Fähigkeiten und nehmen sich dann eher zurück.“ Sie jedenfalls ist auch nach Abschluss ihres Masterstudiums „Medical Systems Engineering“ der Wissenschaft treu geblieben. Für unser Gespräch hatten wir ein Treffen in ihrem Wohlfühl-Arbeitsumfeld in der Experimentellen Fabrik vereinbart. Schon als Studentin und wissenschaftliche Hilfskraft war der Forschungsplatz von Urte Kägebein hier am MRT-Siemens MAGNETOM Skyra 3T. Er hat eine Feldstärke von drei Tesla – und eine große Röhre mit Platz für Untersuchungen, gar für Intervention. Jetzt als Doktorandin kann sie hier noch tiefer in ihr Spezialgebiet eintauchen: MR-geführte minimal-invasive Intervention. Urte Kägebein erforscht ein optisches Tracking-System, das eine intuitive Instrumentenführung und Bildsteuerung im Inneren des MRT durch den menschlichen Körper ermöglichen soll.

Weibliche Vorbildrolle für kommende Generationen 


Ein Ziel des Forschungscampus STIMULATE liegt in dem Aufbau eines integrierten Hightech-Operationsraums auf der Basis von vielseitig verfügbaren MRT-Standardgeräten für eine routinemäßige, bildgestützte minimal-invasive lokale Therapie von Lebertumoren. Mandy Grundmann hat im MRT-Labor minimal-invasive Instrumente wie Katheter und Nadeln für den bildgeführten Eingriff getestet. 

Ihre Kollegin Mandy Grundmann hat sich mit ihrer Forschung im MRT- Labor schon erste wissenschaftliche Sporen verdient. Sie stellte in ihrer Doktorarbeit dar, inwieweit minimal-invasive Instrumente wie Katheter und Nadeln für den bildgeführten Eingriff in ihrer Hardware verbessert werden können, damit sie für den Arzt leicht handhabbar sind und von ihm punktgenau platziert werden.

Urte Kägebein war zu der Zeit wissenschaftliche Hilfskraft und leistete Zuarbeiten für diese Arbeit. Mit Auszeichnung verteidigte Mandy Grundmann ihre Dissertation „Semi-aktive Instrumentenvisualisierung in der interventionellen Magnetresonanztomographie“. Dafür erhielt sie vom Magdeburger Bezirksverein der Deutschen Ingenieure den VDI-Förderpreis 2016. Dass sie in einem ingenieurtechnischen Beruf Karriere machen würde, hätte Mandy Grundmann nicht gedacht, als sie in Leipzig ihr Abitur absolvierte und zunächst mit einem Jura-Studium liebäugelte. „Zum Glück hatte ich bei einer Freundin vorab den Einblick, was da auf mich zu kommt ...“, meint Mandy Grundmann heute noch sichtlich froh, dass sie sich für die Elektrotechnik an der Otto-von Guericke-Universität in Magdeburg entschied. „Man kann sich doch einfach mal in Vorlesungen reinsetzen und möglicherweise feststellen, dass Mathe gar nicht so schlimm ist, wie sich das manche vorstellen“, rät sie allen (Mädchen). Was man nicht kennt, könne man auch nicht realistisch einschätzen, weiß sie aus eigenen Erfahrungen. Die sammelte sie im Vorfeld ihrer Berufswahl bei allem, was die Uni an Kursen und Schnupperangeboten anbot. Inzwischen ist sie es, die vor Schülern und Studierenden ein gutes Beispiel für Frauen-Power in der Ingenieurtechnik abgibt – und vielleicht sogar eine Entscheidungshilfe ist für manch eine Unentschlossene. Auch Urte Kägebein ist eine Botschafterin in dieser Sache. In diesem Sommer betreute sie Schülerinnen und Schüler, die ein MINT-Praktikum an der Uni absolvierten. Zudem leiten die beiden Wissenschaftlerinnen jeweils die Forschungsgruppen „MR-Instrumente“ und „Interventionelle MR-Bildgebung“.

 

Portrait Professor Rose
Prof. Dr.-Ing. Georg Rose (Foto: Stefan Berger)

Prof. Georg Rose ist stolz auf die beiden Fachfrauen und ist überzeugt, dass sie an ihren Aufgaben in der Wissenschaft wachsen werden. Guten Nährboden finden sie an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg allemal. Besagtes Hightech-Labor ist das „Herz“ von STIMULATE – Solution Centre for Image Guided Local Therapies. Der Forschungscampus ist einer von neun in Deutschland. Lediglich zwei forschen auf dem Gebiet der Medizintechnik, einer davon in Magdeburg. Auch Mandy Grundmann und Urte Kägebein profitieren mit ihren Stellen als wissenschaftliche Mitarbeiterin und als Doktorandin von der bis zu 15-jährigen Förderung durch Bund und Land.

 

Medizintechnik2 Warum fehlen Frauen in der Wissenschaft? Weil ihnen die Vorbilder fehlen, wird oft als ein Grund angeführt. Professor Georg Rose, Direktor des Instituts für Medizintechnik an der Otto-von- Guericke-Universität Magdeburg, beobachtet jetzt mit Freude einen Wandel. Er schätzt die Zusammenarbeit mit den engagierten und fachlich exzellen- ten Frauen in seinem Fachgebiet. „Sie treiben die Forschung proaktiv voran und entwickeln die Stärke, eine Vorbildrolle für kommende Generationen zu übernehmen.“

Forschen für eine patientenfreundliche Medizin der Zukunft

Die Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg mit ihrem Uniklinikum, der STIMULATE-Verein mit seinen 20 Mitgliedern aus Wirtschaft und außeruniversitärer Forschung und nicht zuletzt die Siemens Healthcare GmbH als dritter Partner im Bunde von STIMULATE stehen im ständigen interdisziplinären Austausch. „Intelligente Katheter – Kathetertechnologien“, kurz INKA, ist ein wichtiges Partnerprojekt für den Forschungscampus. Von INKA werden Operationswerkzeuge und -systeme für minimal-invasive Operationstechniken entwickelt. Georg Rose ist der Sprecher von STIMULATE. Er und seine Mitstreiter haben eine Vision: In Magdeburg soll das „Deutsche Zentrum für bildgestützte Medizin“ aufgebaut werden.

Urte Kägebein zeigt die vom MRT gescannten Bilder einer Leber mit Tumor. Minimalinvasive Instrumente würden hier eine lokale Hitzetherapie möglich machen, sagt die Medizintechnikerin – und freut sich ganz nebenbei, dass in ihrer Berufsbezeichnung die „Medizin“ das Bestimmungswort vor der Technikerin ist. Ein Medizinstudium wäre ihr zweitplatzierter Wunsch gewesen, verrät sie. Somit interessiere sie sich auch für die neuen Therapiemethoden, für die sie die technischen Voraussetzungen schafft. Sie zeigt eine Aufnahme mit der Einstechsonde, die unter MRT-Kontrolle in den Tumor eingeführt wurde. „Eine im Tumor platzierte Antenne schickt Mikrowellen durch das Gewebe. Die Wassermoleküle fangen an zu schwingen, wodurch Hitze entsteht. Wie in einer Mikrowelle verkochen die Tumorzellen von innen“, erklärt die Wissenschaftlerin. Selbstredend müsse die Technik so präzise arbeiten, dass kein gesundes Gewebe zerstört wird. In ihrer Doktorarbeit verfolgt sie eine im wahren Wortsinne richtungsweisende Idee: ein Trackingsystem mit optischen Moiré-Phase-Markern. Die Moiré-Muster verändern ihr Aussehen bei kleinster Drehung und erinnern dabei an die Bilder aus einem Zauberrohr. „Positionen in sechs Freiheitsgraden können von einer Kamera im Inneren der MRT-Röhre erfasst und zur Steuerung der MRT-Bilder genutzt werden. Wenn die Nadel bewegt wird, beispielsweise durch die Atmung des Patienten, geht die Bildebene mit“, sagt Urte Kägebein. Für die junge Wissenschaftlerin ist es wichtig zu wissen, dass ihre Arbeit in der Praxis gebraucht wird. Darum könne sie sich auch vorstellen, später in einer Klinik eng mit Medizinern zusammenzuarbeiten.

Gemeinsame Visionen und Meilensteine auf dem Forschungscampus

 

Medizintechnik2 Die Zusammenarbeit zwischen STIMULATE und den Ärzten am Magdeburger Uniklinikum ist intensiv. So stehen in der Neuroradiologie Geräte, die vergleichbar sind mit denen in der Experimentellen Fabrik. Das erlaubt eine gemeinsame und vergleichende Auswertung der medizinischen Daten.

„Auch die Medizinische Hochschule Hannover ist unser Partner und Mitglied im STIMULATE-Verein. Wir arbeiten mit Geräten vom selben Hersteller, so dass unsere Entwicklungen für die MRT-geführte minimalinvasive Tumorbehandlung schnell in die klinische Routine übertragen werden können“, sagt Georg Rose. Die Internationalisierung der wissenschaftlichen Kooperation benennt Professor Rose als ein Ziel auf dem Weg zum internationalen Referenzzentrum für minimalinvasive Therapien. Jetzt, nach drei Jahren Laufzeit der Forschungsförderung, sind schon einige Meilensteine aufgestellt. Eine erfolgreiche Zusammenarbeit gäbe es beispielsweise mit der University of Wisconsin in Madison bzw. mit der Stanford University in Kalifornien. Das amerikanische Unternehmen MedWaves, Inc. aus San Diego – es stellt Systeme für die mikrowellenbasierte Zerstörung von Tumoren her – plane sogar, mit einer Außenstelle nach Magdeburg zu ziehen, freut sich Georg Rose und nennt in diesem Zusammenhang überzeugende Standortvorteile: „Unser Forschungscampus kann nicht nur bei der Weiterentwicklung der Geräte helfen. Wir haben an der Otto-von-Guericke-Uni exzellente Fachkräfte. Und: Hier wird den Firmen der Nachwuchs geradezu gebacken. 2008 haben wir den internationalen Master-Studiengang Medical Systems Engineering aufgebaut und 2014 wurde der Bachelorstudiengang Medizintechnik eingeführt. Er ist bezüglich der Bewerberzahlen der zweitstärkste Bachelorstudiengang der Ingenieurwissenschaften.“

Vom Transfergedanken geradezu beseelt, arbeitet der Forschungscampus STIMULATE eng mit dem Cluster Medizintechnik in Sachsen-Anhalt zusammen. Das Land entwickelt sich zu einem bedeutenden Standort innerhalb dieser Branche. „Bund und Land stellen Fördermittel bereit, die uns attraktive Forschungsprojekte mit Firmen aus der Region und darüber hinaus ermöglichen“, sagt STIMULATE-Sprecher Rose und malt das Bild von der Forschungskeimzelle, um die herum sich Firmen ansiedeln.


Aufgrund des demografischen Wandels in der Bevölkerung zeigt sich ein steigender Bedarf an neuen medizintechnischen Lösungsansätzen in der Gesundheitsbranche. Insbesondere im Bereich der Volkskrankheiten gewinnen minimal-invasive Verfahren zur Diagnostik und Behandlung von Patienten immer mehr an Bedeutung. Diese Behandlungsmethoden gehen mit einer geringeren körperlichen Belastung für Patienten einher bzw. stellen für schwer kranke Patienten häufig die einzige Therapieoption dar.

In Bezug auf die Verwirklichung dieser Campusidee hat Mandy Grundmann eine neue berufliche Herausforderung angenommen. Gerade baut sie eine „Servicegruppe Transfer“ auf. Deren hauptsächliche Aufgabe ist es, die Forschungsergebnisse von STIMULATE in die Praxis zu transferieren. „Schließlich wollen wir positive wirtschaftliche Effekte generieren“, sagt die Wissenschaftlerin und, dass sie Aus- und Neugründungen wie auch ansiedlungswillige Firmen begleitet und berät. Auch darin hat die junge Frau ihre Kompetenzen. Ein wacher Gründergeist zieht sich durch ihren familiären Background.

Und sie kann von einem ersten Ansiedlungserfolg bei STIMULATE berichten. ACES aus Filderstadt bei Stuttgart, ein ingenieur-technisches Beratungs- und Dienstleistungsunternehmen mit dem Schwerpunkt Medizintechnik, ist nach Magdeburg gezogen. ACES, so die Transfer-Beauftragte, stelle sich gerade neu auf – hin zur medizinischen Bilddatenverarbeitung. Das Unternehmen verspreche sich durch die Nähe zur Uni sowie durch die Kooperation mit STIMULATE einen Zugang zu gut ausgebildeten Fachkräften und einen Innovationsschub, der seine Wettbewerbsfähigkeit stärkt.

„Genau darum geht es. Wir können nur dann erfolgreich sein, wenn wir durch Innovation überzeugen“, sagt STIMULATE-Sprecher Rose. Mit diesem Anspruch agierend, hat der Forschungscampus inzwischen Dimensionen erreicht, die den räumlichen wie auch den inhaltlichen Rahmen der Experimentellen Fabrik sprengen. Mit zwölf Millionen Euro fördert das Land ein neues Domizil, in dem STIMULATE mit seinem Partnerprojekt INKA und mit den Firmen, die sich in diesem inspirierenden Umfeld ansiedeln, weitere Räume finden, in denen sie ihre Visionen verwirklichen können.

 

Medizintechnik2 Apropos Visionen: Georg Rose bringt da den Wissenschaftshafen ins Spiel. In der Tat hat es eine gewisse Symbolkraft, wenn der Schriftzug STIMULATE aus dem historischen Speicherbau einen Leuchtturm macht, der weit hineinstrahlt in die Wirtschaft und Industrie. Die Verbindung zur Praxis ist auch den jungen Wissenschaftlerinnen wichtig. Forschen um des Forschens Willen ist nicht ihr Ding. Anwendungsorientiert müsse all das Streben schon sein, meinen Mandy Grundmann und Urte Kägebein.

 

Autorin: Kathrein Graubaum

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Letzte Änderung: 22.02.2017 - Ansprechpartner: Webmaster