US-Präsidentschaftswahl im Fokus der Wirtschaftswissenschaft
Am 8. November 2016 wird der 58. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt. Übernimmt zum ersten Mal in der amerikanischen Geschichte eine Frau dieses Amt? Oder zieht ein Mann ins Weiße Haus ein, der im Wahlkampf Wählergruppen beleidigt, seine Eitelkeit nicht in den Griff bekommt und kaum mit detaillierten Programmen überzeugt? Wenige Tage vor der Wahl sprach Universitätssprecherin Katharina Vorwerk mit dem Wirtschaftswissenschaftler und Zufriedenheitsforscher Prof. Joachim Weimann über eine ökonomisch stabile, aber politisch gespaltene amerikanische Gesellschaft.
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Prof. Weimann, in diesem Wahlkampf punktet der Milliardär Donald Trump, also ein Mann des Geldes, dem in Deutschland eher ein breites Misstrauen entgegengebracht würde, ausgerechnet bei unterprivilegierten Menschen mit dem Versprechen auf Wohlstand und Gerechtigkeit. Welche Schlüsse ziehen Sie als Ökonom daraus?
Das ist eine sehr komplexe Frage und um sie umfassend zu beantworten, bräuchte man nicht nur ökonomischen Sachverstand. Aber aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht ist es tatsächlich schwer nachzuvollziehen, warum jemand wie Donald Trump einen so starken Zulauf erhält. Die USA haben in den letzten Jahren ökonomisch erhebliche Erfolge gefeiert. Sie haben ein stabiles Wachstum von etwa 2,4 Prozent - ein Wert, von dem Europa nur träumen kann – und die Arbeitslosigkeit ist unter 5 Prozent gefallen. Das ist nahe an der Vollbeschäftigung, denn die sogenannte Such- und Friktionsarbeitslosigkeit, die durch normale Jobwechsel entsteht, liegt in der Nähe von 4 Prozent. Der einzige ökonomische Grund, warum die Menschen in den USA unzufrieden sein können, ist die stark gestiegene Ungleichheit. Zwar verdienen alle im Durchschnitt mehr, aber die Schere zwischen arm und reich ist immer weiter auseinandergegangen. Dazu kommt, dass weite Teile der Mittelschicht soziale Abstiege haben hinnehmen müssen. Das alles dürfte dazu beigetragen haben, dass Bernie Sanders im Vorwahlkampf so erfolgreich war. Es erklärt aber nicht, warum die Menschen ausgerechnet in Trump einen Hoffnungsträger sehen.
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Amtsinhaber Barack Obama, hat für Millionen von US-Amerikanern eine Krankenversicherung eingeführt und die Wirtschaft brummt. Und doch mögen ihn seine Landsleute nicht besonders. Zählen ökonomische Argumente nicht mehr? Warum erwächst aus Wohlstand nicht von selbst ein Wohlgefühl?
Gerade an Obama Care, der von Obama verabschiedeten Gesundheitsreform, kann man sehen, wie gespalten die amerikanische Gesellschaft ist und welche Auswirkungen das hat. Die unteren Einkommensschichten profitieren von der neuen Versicherung erheblich, weil sich viele Menschen erstmals eine Krankenversicherung leisten können. Zugleich schlägt dieser „Sozialversicherung“, die ja letztlich auf einem Solidaritätsprinzip beruht, weil es zu einer Umverteilung zugunsten der ärmeren Amerikaner kommt, tiefes Misstrauen entgegen. Weite Teile der US-Gesellschaft sehen darin einen viel zu starken Eingriff in ihre Freiheitsrechte. Die Folge davon war, dass Obama Care nicht als Pflichtversicherung eingeführt werden konnte. Das wäre politisch nicht durchsetzbar gewesen. Als Ökonom weiß man, was das bedeutet: Es kommt zu einem Prozess den man Adverse Selektion nennt. Das heißt: Gute Risiken selektieren sich aus der Versicherung heraus und es bleiben nur die schlechten Risiken im Pool. Gerade wurde bekannt, dass die Beiträge um 25 Prozent angehoben werden müssen – nach nur drei Jahren! Das ist die Folge dieses Selektionsprozesses und dieser Prozess wird weitergehen und am Ende Obama Care zerstören. Übrigens war es George Akerlof, der den Prozess der Adversen Selektion als erster theoretisch beschrieben hat und u.a. dafür den Nobelpreis bekam. Er ist amerikanischer Ökonom und mit Janet Yellen verheiratet, der Chefin der Notenbank FED. Man kann also davon ausgehen, dass die Administration bestens beraten wurde und wusste, dass es so nicht gehen wird. Dennoch war man gezwungen, diesen Kompromiss zu machen, weil mehr in den USA einfach nicht durchsetzbar ist.
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Warum entscheiden sich Mehrheiten in den USA nicht für Bernie Sanders, der doch eher für soziale Gerechtigkeit steht und kein Mann des Geldes ist? Ist es der oft zitierte Wunsch nach einem starken Mann, der sich offen gegen das Establishment in Washington wendet?
Viele haben Sanders ja gewählt. Aber am Ende dürfte sich die Angst durchgesetzt haben, dass ein Sozialist, der bereits 75 Jahre alt ist, gegen Trump keine Chance haben würde. Ich glaube, damit liegt die Bevölkerung richtig. Ein Sozialist ist in den USA - noch - nicht wählbar. Mich hat ehrlich gewundert, dass die Demokraten keinen zweiten Obama in ihren Reihen gefunden haben: intelligent, unbelastet, eloquent und den sozialen Fragen zugewandt.
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Trotz aller validen Zahlen und erfolgreichen Statistiken spürt demnach eine große Gruppe von Menschen eine wachsende Ungerechtigkeit, insbesondere scheint das Rassenproblem immer noch ungelöst. Warum schafft es eine starke wirtschaftliche und politische Weltmacht nicht, diese Probleme anzugehen?
Die Rassenfrage und die Frage der sozialen Gerechtigkeit hängen eng zusammen. Man darf nicht den Fehler machen, zu glauben, dass die amerikanische Regierung keinerlei Anstrengungen unternimmt, beides zu lösen. Beispielsweise hat es erhebliche Anstrengungen gegeben, das Bildungssystem so zu verändern, dass es gelingt, die Abschlussquoten an den Schulen zu erhöhen und die Bildungschancen der unteren Einkommensgruppen zu erhöhen. Das ist grundsätzlich ein richtiger Ansatz, nur war er bisher nicht sehr erfolgreich. Für eine wirksame Bekämpfung der Ungleichheit bedarf es eines entsprechenden Steuer- und Transfersystems. Das ist aber politisch nicht durchsetzbar, weil sehr viele Amerikaner darin einen zu starken Eingriff in ihre Freiheitsrechte sehen. Solidarität und individuelle Freiheit werden in einem Spannungsverhältnis gesehen. Das eine reduziert das andere. Das ist in Europa und insbesondere auch in Deutschland anders. Hier sehen die meisten Menschen ein, dass es für alle vorteilhaft ist, in einer Gesellschaft zu leben, in der die Unterschiede nicht zu groß werden und in der niemand elementare Not leiden muss. Es gibt in Deutschland keine Partei, die den Sozialstaat abschaffen will, weil es dafür keine Wähler geben würde. In den USA ist das ganz anders.
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Aber auch in Europa wächst die Zahl derer, die sich von der Politik der Mitte abwenden, sich unverstanden und nicht berücksichtigt fühlen. Im reichen Deutschland, dem Land der sozialen Marktwirtschaft und jahrzehntelangen Wohlstands, ziehen Populisten die Menschen an. Gibt es Parallelen?
Die gesellschaftliche Realität und die Wahrnehmung derselben sind zwei Paar Schuhe. Es ist offensichtlich, dass in vielen Ländern beides immer weiter auseinander driftet. Ich habe in einer deutschen Talkshow erlebt, dass ein Vertreter der Republikaner behauptet hat, dass die Arbeitslosigkeit in den USA 10 Prozent betrüge. Dazu muss man wissen, dass die Arbeitslosigkeit in den USA in Stufen gemessen wird, von U1 bis U6. U1 umfasst die Personen, die länger als 15 Wochen arbeitslos sind (unter 2 Prozent gegenwärtig), U3 entspricht der Definition, die wir auch in Deutschland benutzen und U6 umfasst alle Teilzeitbeschäftigten und Menschen, die sich nicht mehr aktiv um Arbeit bemühen. Der Politiker bezog sich auf U6, was sehr gewagt ist, denn damit ist unterstellt, dass zum Beispiel alle, die Teilzeit arbeiten, eigentlich Vollzeit arbeiten wollen – was sicher falsch ist. Der eigentliche Bock war aber, dass dieser Politiker dann sinngemäß sagte: „Das bedeutet, dass bei 320 Millionen Amerikanern 32 Millionen arbeitslos sind. Und das erklärt, warum die Menschen so unzufrieden sind.“ Für diesen Mann sind also auch Babys, Schüler, Studenten, Rentner und Menschen, die bewusst nicht arbeiten, um sich zum Beispiel um die Familie zu kümmern, arbeitslos! Der eigentliche Skandal dabei war aber nicht, dass dieser Politiker so dreist die Statistik missbrauchte und fälschte, sondern dass die Moderatorin der Sendung nicht darauf hingewiesen hat, dass da etwas nicht stimmen kann. Sie hat das einfach so stehen lassen. Vermutlich weil sie schlecht informiert war.
Die Medien – und damit die Journalisten – sind diejenigen, die dafür verantwortlich sind, wie die gesellschaftliche Realität wahrgenommen werden kann. Mit ihrer Qualität, ihrer Professionalität steht und fällt diese Wahrnehmungsfähigkeit. Mein Eindruck ist, dass in vielen Ländern – und da nehme ich Deutschland nicht aus – Journalisten für sich eine andere Rolle beanspruchen als die des gebildeten Informanten. Sie interpretieren lieber, als zu informieren. Das Fatale daran ist, dass das dazu führt, dass die Menschen sich unbeachtet und hintergangen fühlen und empfänglich werden für Verschwörungstheoretiker, Demagogen und Populisten. Das erklärt, warum diese in ganz Europa und auch in den USA so starken Zulauf haben.
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Was wären die wirtschaftlichen Folgen für Europa, sollte Trump gewinnen und was wäre anders, hieße die neue Präsidentin Hillary Clinton?
Ich bin mir nicht sicher, ob es große Unterschiede geben würde. Der wichtigste wäre sicherlich, dass Frau Clinton deutlich verlässlicher und berechenbarer wäre als Donald Trump, bei dem man nicht so recht weiß, woran man ist. Ich fürchte allerdings, dass unter einem Präsidenten Trump die Welt deutlich unsicherer würde, als unter einer Präsidentin Clinton. Das kann weitreichende Auswirkungen haben. Freier Handel und Wohlstand gedeihen am besten in ruhigen und sicheren Zeiten. Instabilität und Unsicherheit beschädigen nicht nur unser Sicherheitsgefühl, sondern auch unseren Wohlstand.
Prof. Weimann, vielen Dank für das Gespräch!