Wasser marsch!

Strömungsmechaniker optimieren innovative Kleinstwasserkraftwerke

Wissenschaftler der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg untersuchen neuartige Kraftwerke, die die Stromgewinnung aus Wasserkraft revolutionieren könnten. Er ist etwa acht Meter lang, fünf Meter breit, schwimmt wie ein Katamaran auf zwei Kufen und in seiner Mitte dreht sich ein Wasserrad mit langen, schmalen Schaufeln – der »River Rider®« ist ein Mikro-Wasserkraftwerk. Verankert und auf einem Fluss schwimmend, wandelt er die Fließkraft in Strom um und produziert so permanent rund fünf Kilowatt Ökostrom aus erneuerbaren Energien. 2011 wurde ein Prototyp des schwimmenden Mini-Wasserrades, das von der Talsperren Wasserkraft Sachsen-Anhalt GmbH betrieben wird, am Auslauf der Wendefurther Talsperre im Harz eingeweiht.

Der »River Rider®« ist nur eines von zahlreichen kleindimensionierten Kraftwerken, die derzeit hauptsächlich als Prototypen auf deutschen Fließgewässern getestet werden. Sie heißen »Energy Floater«, »Smart Hydro POWER« oder »Entertainer™«, und sie haben vieles gemeinsam: Sie sind klein, produzieren Strom aus Wasserkraft und sind mobil einsetzbar. Im kürzlich gestarteten regionalen Wachstumskern »Fluss-Strom Plus« soll in den kommenden drei Jahren genauer untersucht werden, wie diese stromproduzierenden Minikraftwerke optimiert werden können, um zukünftig im größeren Maßstab Strom zu produzieren. Unter der Leitung der Universität Magdeburg beteiligen sich sieben Forschungseinrichtungen und 19 Industriepartner an verschiedenen Projekten, die der Energieerzeugung durch Flusskraftwerke zur Renaissance verhelfen sollen. »Es gab im Bereich der Elbe bei Magdeburg früher zahlreiche Wassermühlen. Nun wollen wir daran anknüpfen und das Thema mit Wasserbauexperten vorantreiben«, erklärt Mario Spiewack, Sprecher des Bündnisses und Projektleiter der Experimentellen Fabrik Magdeburg. Ingenieure, Maschinenbauer, Strömungsexperten, Stoffwissenschaftler und Gewässerökologen sind am Verbundprojekt beteiligt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Vorhaben.

Am Lehrstuhl für Strömungsmechanik und Strömungstechnik bearbeiten unter Federführung von Professor Dominique Thévenin drei Nachwuchswissenschaftler einen technischen Aspekt des Themas. Innerhalb ihrer Promotionen untersuchen Olivier Cleynen, Stefan Hoerner und Nils Lichtenberg jeweils eines der neuartigen Systeme. Neben dem »River Rider®« betrachten sie eine vertikale Wasserturbine – eine so genannte Darrieus-Turbine – und ein stromproduzierendes »fischfreundliches Wehr«. Dieses stellt eine stromproduzierende Alternative zur Fischtreppe dar – ebenfalls ein Novum. »Während Fischtreppen die Wanderung der Fische ermöglichen, aber dabei Kosten verursachen, produziert das ›fischfreundliche Wehr‹ gleichzeitig Strom und amortisiert sich so über die Zeit«, beschreibt Nils Lichtenberg das Prinzip.

Derzeit entsteht am Institut ein Wasserkanal, in dem kleine Modelle der Kraftwerke getestet werden können. Die Messrinne ist zehn Meter lang und etwas breiter als einen Meter. Entsteht am Computer ein optimiertes Modell einer Turbine, kann diese im Miniaturformat im Kanal getestet werden. Um das Strömungsverhalten sichtbar zu machen, befinden sich im Wasser unzählige winzige Partikel, die mit Hilfe von Laserstrahlen visualisiert werden. Kameras nehmen die Strömungsbewegungen aus mehreren Blickwinkeln auf. So können die Forscher feststellen, ob sich das Modell tatsächlich so, wie in der Simulation vorhergesagt, verhält. Anschließend fließen die Ergebnisse wieder in die Simulation ein: »Mit den Messdaten, die wir über diesen Kanal gewinnen, können wir unser Simulationsmodell kalibrieren«, beschreibt Nachwuchswissenschaftler Stefan Hoerner das Verfahren. Am Ende des Prozesses steht im Idealfall ein optimiertes Wasserrad, das die Kraft des Wassers so effizient wie möglich nutzt und in Strom umwandelt.

Ökonomisch effizient und ökologisch sicher

»River Rider®« und Co haben jedoch nicht nur Fragen der Effizienz und Wirtschaftlichkeit standzuhalten. Es gibt strenge gesetzliche Vorgaben, die den Schutz der Gewässer und ihrer Ökologie absichern sollen. »Die Kraftwerke müssen ohne ein Aufstauen des Wassers arbeiten können, die Schiffbarkeit muss erhalten bleiben und die Fische dürfen nicht beeinträchtigt werden«, zählt Prof. Dominique Thévenin die Voraussetzungen und Herausforderungen auf. Jedes der Systeme, die im Wachstumskern untersucht werden, erfülle all diese Punkte. Dennoch muss derzeit noch für jeden einzelnen Standort, an dem eines oder mehrere der Kraftwerke installiert werden, aufwendig überprüft werden, ob etwa keine Fische zu Schaden kommen. Für die möglichen Betreiber der Kraftwerke bedeutet dies einen immensen Kostenaufwand.

Dennoch sieht Dominique Thévenin in den Kleinstkraftwerken das Potenzial, einen wichtigen Baustein in der Energiewende bilden zu können – wenn sie optimiert und so effizient wie möglich gestaltet werden, zudem möglichst lange wartungsfrei funktionieren und die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Genehmigung angepasst werden. »Es ist eine Frage der Qualität und der Quantität«, verdeutlicht der Wissenschaftler. Einst könnten etwa viele der einzelnen Elemente hintereinander aufgereiht werden und so eine ganze Flotte stromproduzierender Einheiten bilden. »Wasserkraft ist grundlastfähig«, betont Stefan Hoerner den entscheidenden Vorteil. »Im Gegensatz zu Sonne oder Wind ist sie fast immer verfügbar und belastet das Stromnetz nicht mit großen Schwankungen, sondern stabilisiert die Erzeugerseite.«

Anwendungsmöglichkeiten der neuen Wasserkraftanlagen sehen die Wissenschaftler nicht nur in Deutschland und in der EU sondern vor allem in Ländern, in denen die Stromversorgung weniger gut ausgebaut ist: »In Afrika, Südamerika oder Asien, dort, wo es große Flüsse, aber kein flächendeckendes Stromnetz gibt, können sie von großem Nutzen sein«, erklärt Dominique Thévenin. »Unser Ziel ist es, die entwickelten Technologien und angestrebten Produkte zielgerichtet in den Markt zu bringen – in Europa, aber auch weltweit«, bestätigt Mario Spiewack.

Den ausführlichen Artikel finden Sie im Forschungsmagazin Guericke 15

von Heike Kampe  

Letzte Änderung: 09.07.2020 - Ansprechpartner: Webmaster