Virtueller Anatomieatlas für Medizinstudierende
Leonardo da Vinci wagte es im 15. Jahrhundert als einer der ersten, das Innenleben des menschlichen Körper zu erforschen. In über 200 Zeichnungen hielt der Renaissancekünstler die menschliche Anatomie und Mechanik naturgetreu fest. Seitdem sind über 500 Jahre vergangen und das Erlernen menschlicher Anatomie findet nicht mehr allein am Menschen, sondern inzwischen auch immer mehr am Computer statt.
Informatiker und Mediziner der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg arbeiten daran, die Medizinerausbildung in diese Richtung zu ergänzen: Im Rahmen eines vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderten Projekts werden sie einen virtuellen Anatomieatlas für Medizinstudierende entwickeln, einschließlich der Erstellung 3D-Modellen. Als Grundlage der virtuellen Darstellungen dienen Bilddaten von realen Körperspendern. Hochaufgelöst mittels Computertomografie erfasst, könnten die Studierenden die Anatomie des Menschen anschließend per Mouseclick auf dem Sofa, statt im anatomischen Institut nachvollziehen.
Damit dieses virtuelle Präparieren dem am echten Körper möglichst nahe kommt, das sukzessive Freilegen von Strukturen wie Muskeln realistisch simuliert werden kann, werden diese Abläufe durch Ausblenden von Hautschichten nachempfunden. „Im Ergebnis unserer Arbeit wird auf der Basis unzähliger realer Bilddaten eine einzigartige Datensammlung entstehen, die über Magdeburg hinaus genutzt werden könnte“, so der am Projekt beteiligte Informatiker und Computervisualist Prof. Bernhard Preim vom Institut für Simulation und Grafik der Universität Magdeburg.
Die Vorteile einer virtuellen Anatomieausbildung liegen für den Computervisualisten Preim auf der Hand: „Durch die dreidimensionale Darstellung werden räumliche Aspekte klarer vermittelt und erhöhen das Verständnis der Zusammenhänge, interessante Strukturen können bereits mit einem Beschreibungstext versehen werden, eine Suchfunktion ermöglicht das Nachschlagen von Informationen. Für einen besseren Lerneffekt könnten wir auch Testfragen mit unmittelbarem Feedback einbauen.“ Vor allem aber könnten die Präparationen beliebig oft durchgeführt werden. „Während das Körperpräparat nur eine begrenzte Zeit genutzt werden kann, stehen die virtuellen Modelle dauerhaft zur Verfügung.“
Die Entwicklung der virtuellen Modelle erfordere aber eine ziemlich aufwändige Vorarbeit, so der Anatomieprofessor Hermann-Josef Rothkötter, Dekan der Medizinischen Fakultät und Direktor des Instituts für Anatomie der Universität Magdeburg. „Vor der Bildverarbeitung muss klar abgegrenzt werden, wo sich Muskeln, Bänder und andere Strukturen befinden. Diese Arbeit sollte künftig zum Teil von den Studierenden selbst geleistet werden.“ Dahinter stecke der Gedanke, dass eine intensive Beschäftigung mit den Bilddaten einen erheblichen Lerneffekt nach sich zieht. Der Mediziner sieht also durchaus das große Potenzial virtuellen Lernens. Die jahrhundertealte Methode, am Menschen selbst auch seine Anatomie zu erlernen, habe für ihn jedoch immer Vorrang. Virtuelle Welten könnten die reale nicht ersetzen. „Kein Geograf käme auf die Idee, allein durch virtuelle Reisen die Erde zu erforschen, am Computer Meerestiefen oder Gebirgslandschaften zu erkunden. Sich mit dem konkreten Körper auseinanderzusetzen, ihn buchstäblich zu begreifen, kann keine noch so perfekte virtuelle Abbildung ersetzen, aber ausgesprochen sinnvoll ergänzen.“
Bis 2018 soll das neue Lehrkonzept in Magdeburg entwickelt und erprobt werden. Geleitet wird es von der Firma Dornheim Medical Images, einer Ausgründung aus der Magdeburger UniversitätVerläuft alles nach Plan, können die virtuellen Präparate im Oktober 2019 den Medizin-Erstsemestern in Magdeburg zur Verfügung stehen.
Von Katharina Vorwerk