Frauen-Power in der Wissenschaft
Urte Kägebein strahlt Begeisterung aus. Ihre Augen leuchten allein bei den drei Buchstaben MRT. „In der Magnetresonanztomografie stecken immer wieder Überraschungen“, sagt sie und meint die Bilder aus dem Körperinneren des Menschen. Brilliante Schnittbilder liefern mittels der MR-Methode dreidimensionale Informationen über Form, Struktur und Zustand der untersuchten Körperregionen und Organe. „Man kann auch die Fließgeschwindigkeit der Körperflüssigkeit und die Elastizität des Gewebes messen“, ist Urte Kägebein fasziniert von den technischen Möglichkeiten.
Die junge Frau aus dem altmärkischen Klötze sieht nichts Besonderes darin, dass sie als Frau ein MINT-Fach studiert hat: Elektrotechnik und Informationstechnik an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Urte Kägebein gibt zu: Die Neigung zu Mathe und Physik sei ihr vermutlich in die Wiege gelegt worden. Beide Eltern sind Mathe- und Physiklehrer. MINT steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik.
Mädchen haben mitunter bessere Zensuren in diesen Fächern als Jungen. Trotzdem rümpfen sie die Nase bei dem Gedanken, beruflich darauf aufzubauen. Sie erkenne ein unterschiedliches Verhalten beider Geschlechter, sagt die 28-Jährige: „Frauen schätzen die Anforderungen einer Aufgabe kritischer ein, unterschätzen aber oft ihre eigenen Fähigkeiten und nehmen sich dann eher zurück.“ Sie jedenfalls ist auch nach Abschluss ihres Masterstudiums „Medical Systems Engineering“ der Wissenschaft treu geblieben. Für unser Gespräch hatten wir ein Treffen in ihrem Wohlfühl-Arbeitsumfeld in der Experimentellen Fabrik vereinbart. Schon als Studentin und wissenschaftliche Hilfskraft war der Forschungsplatz von Urte Kägebein hier am MRT-Siemens MAGNETOM Skyra 3T. Er hat eine Feldstärke von drei Tesla – und eine große Röhre mit Platz für Untersuchungen, gar für Intervention. Jetzt als Doktorandin kann sie hier noch tiefer in ihr Spezialgebiet eintauchen: MR-geführte minimal-invasive Intervention. Urte Kägebein erforscht ein optisches Tracking-System, das eine intuitive Instrumentenführung und Bildsteuerung im Inneren des MRT durch den menschlichen Körper ermöglichen soll.
Weibliche Vorbildrolle für kommende Generationen
Ihre Kollegin Mandy Grundmann hat sich mit ihrer Forschung im MRT- Labor schon erste wissenschaftliche Sporen verdient. Sie stellte in ihrer Doktorarbeit dar, inwieweit minimal-invasive Instrumente wie Katheter und Nadeln für den bildgeführten Eingriff in ihrer Hardware verbessert werden können, damit sie für den Arzt leicht handhabbar sind und von ihm punktgenau platziert werden.
Urte Kägebein war zu der Zeit wissenschaftliche Hilfskraft und leistete Zuarbeiten für diese Arbeit. Mit Auszeichnung verteidigte Mandy Grundmann ihre Dissertation „Semi-aktive Instrumentenvisualisierung in der interventionellen Magnetresonanztomographie“. Dafür erhielt sie vom Magdeburger Bezirksverein der Deutschen Ingenieure den VDI-Förderpreis 2016. Dass sie in einem ingenieurtechnischen Beruf Karriere machen würde, hätte Mandy Grundmann nicht gedacht, als sie in Leipzig ihr Abitur absolvierte und zunächst mit einem Jura-Studium liebäugelte. „Zum Glück hatte ich bei einer Freundin vorab den Einblick, was da auf mich zu kommt ...“, meint Mandy Grundmann heute noch sichtlich froh, dass sie sich für die Elektrotechnik an der Otto-von Guericke-Universität in Magdeburg entschied. „Man kann sich doch einfach mal in Vorlesungen reinsetzen und möglicherweise feststellen, dass Mathe gar nicht so schlimm ist, wie sich das manche vorstellen“, rät sie allen (Mädchen). Was man nicht kennt, könne man auch nicht realistisch einschätzen, weiß sie aus eigenen Erfahrungen. Die sammelte sie im Vorfeld ihrer Berufswahl bei allem, was die Uni an Kursen und Schnupperangeboten anbot. Inzwischen ist sie es, die vor Schülern und Studierenden ein gutes Beispiel für Frauen-Power in der Ingenieurtechnik abgibt – und vielleicht sogar eine Entscheidungshilfe ist für manch eine Unentschlossene. Auch Urte Kägebein ist eine Botschafterin in dieser Sache. In diesem Sommer betreute sie Schülerinnen und Schüler, die ein MINT-Praktikum an der Uni absolvierten. Zudem leiten die beiden Wissenschaftlerinnen jeweils die Forschungsgruppen „MR-Instrumente“ und „Interventionelle MR-Bildgebung“.
Prof. Dr.-Ing. Georg Rose (Foto: Stefan Berger)
Prof. Georg Rose ist stolz auf die beiden Fachfrauen und ist überzeugt, dass sie an ihren Aufgaben in der Wissenschaft wachsen werden. Guten Nährboden finden sie an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg allemal. Besagtes Hightech-Labor ist das „Herz“ von STIMULATE – Solution Centre for Image Guided Local Therapies. Der Forschungscampus ist einer von neun in Deutschland. Lediglich zwei forschen auf dem Gebiet der Medizintechnik, einer davon in Magdeburg. Auch Mandy Grundmann und Urte Kägebein profitieren mit ihren Stellen als wissenschaftliche Mitarbeiterin und als Doktorandin von der bis zu 15-jährigen Förderung durch Bund und Land.
Warum fehlen Frauen in der Wissenschaft? Weil ihnen die Vorbilder fehlen, wird oft als ein Grund angeführt. Professor Georg Rose, Direktor des Instituts für Medizintechnik an der Otto-von- Guericke-Universität Magdeburg, beobachtet jetzt mit Freude einen Wandel. Er schätzt die Zusammenarbeit mit den engagierten und fachlich exzellen- ten Frauen in seinem Fachgebiet. „Sie treiben die Forschung proaktiv voran und entwickeln die Stärke, eine Vorbildrolle für kommende Generationen zu übernehmen.“ |
Forschen für eine patientenfreundliche Medizin der Zukunft
Die Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg mit ihrem Uniklinikum, der STIMULATE-Verein mit seinen 20 Mitgliedern aus Wirtschaft und außeruniversitärer Forschung und nicht zuletzt die Siemens Healthcare GmbH als dritter Partner im Bunde von STIMULATE stehen im ständigen interdisziplinären Austausch. „Intelligente Katheter – Kathetertechnologien“, kurz INKA, ist ein wichtiges Partnerprojekt für den Forschungscampus. Von INKA werden Operationswerkzeuge und -systeme für minimal-invasive Operationstechniken entwickelt. Georg Rose ist der Sprecher von STIMULATE. Er und seine Mitstreiter haben eine Vision: In Magdeburg soll das „Deutsche Zentrum für bildgestützte Medizin“ aufgebaut werden.
Urte Kägebein zeigt die vom MRT gescannten Bilder einer Leber mit Tumor. Minimalinvasive Instrumente würden hier eine lokale Hitzetherapie möglich machen, sagt die Medizintechnikerin – und freut sich ganz nebenbei, dass in ihrer Berufsbezeichnung die „Medizin“ das Bestimmungswort vor der Technikerin ist. Ein Medizinstudium wäre ihr zweitplatzierter Wunsch gewesen, verrät sie. Somit interessiere sie sich auch für die neuen Therapiemethoden, für die sie die technischen Voraussetzungen schafft. Sie zeigt eine Aufnahme mit der Einstechsonde, die unter MRT-Kontrolle in den Tumor eingeführt wurde. „Eine im Tumor platzierte Antenne schickt Mikrowellen durch das Gewebe. Die Wassermoleküle fangen an zu schwingen, wodurch Hitze entsteht. Wie in einer Mikrowelle verkochen die Tumorzellen von innen“, erklärt die Wissenschaftlerin. Selbstredend müsse die Technik so präzise arbeiten, dass kein gesundes Gewebe zerstört wird. In ihrer Doktorarbeit verfolgt sie eine im wahren Wortsinne richtungsweisende Idee: ein Trackingsystem mit optischen Moiré-Phase-Markern. Die Moiré-Muster verändern ihr Aussehen bei kleinster Drehung und erinnern dabei an die Bilder aus einem Zauberrohr. „Positionen in sechs Freiheitsgraden können von einer Kamera im Inneren der MRT-Röhre erfasst und zur Steuerung der MRT-Bilder genutzt werden. Wenn die Nadel bewegt wird, beispielsweise durch die Atmung des Patienten, geht die Bildebene mit“, sagt Urte Kägebein. Für die junge Wissenschaftlerin ist es wichtig zu wissen, dass ihre Arbeit in der Praxis gebraucht wird. Darum könne sie sich auch vorstellen, später in einer Klinik eng mit Medizinern zusammenzuarbeiten.
Gemeinsame Visionen und Meilensteine auf dem Forschungscampus
Die Zusammenarbeit zwischen STIMULATE und den Ärzten am Magdeburger Uniklinikum ist intensiv. So stehen in der Neuroradiologie Geräte, die vergleichbar sind mit denen in der Experimentellen Fabrik. Das erlaubt eine gemeinsame und vergleichende Auswertung der medizinischen Daten. |
„Auch die Medizinische Hochschule Hannover ist unser Partner und Mitglied im STIMULATE-Verein. Wir arbeiten mit Geräten vom selben Hersteller, so dass unsere Entwicklungen für die MRT-geführte minimalinvasive Tumorbehandlung schnell in die klinische Routine übertragen werden können“, sagt Georg Rose. Die Internationalisierung der wissenschaftlichen Kooperation benennt Professor Rose als ein Ziel auf dem Weg zum internationalen Referenzzentrum für minimalinvasive Therapien. Jetzt, nach drei Jahren Laufzeit der Forschungsförderung, sind schon einige Meilensteine aufgestellt. Eine erfolgreiche Zusammenarbeit gäbe es beispielsweise mit der University of Wisconsin in Madison bzw. mit der Stanford University in Kalifornien. Das amerikanische Unternehmen MedWaves, Inc. aus San Diego – es stellt Systeme für die mikrowellenbasierte Zerstörung von Tumoren her – plane sogar, mit einer Außenstelle nach Magdeburg zu ziehen, freut sich Georg Rose und nennt in diesem Zusammenhang überzeugende Standortvorteile: „Unser Forschungscampus kann nicht nur bei der Weiterentwicklung der Geräte helfen. Wir haben an der Otto-von-Guericke-Uni exzellente Fachkräfte. Und: Hier wird den Firmen der Nachwuchs geradezu gebacken. 2008 haben wir den internationalen Master-Studiengang Medical Systems Engineering aufgebaut und 2014 wurde der Bachelorstudiengang Medizintechnik eingeführt. Er ist bezüglich der Bewerberzahlen der zweitstärkste Bachelorstudiengang der Ingenieurwissenschaften.“
Vom Transfergedanken geradezu beseelt, arbeitet der Forschungscampus STIMULATE eng mit dem Cluster Medizintechnik in Sachsen-Anhalt zusammen. Das Land entwickelt sich zu einem bedeutenden Standort innerhalb dieser Branche. „Bund und Land stellen Fördermittel bereit, die uns attraktive Forschungsprojekte mit Firmen aus der Region und darüber hinaus ermöglichen“, sagt STIMULATE-Sprecher Rose und malt das Bild von der Forschungskeimzelle, um die herum sich Firmen ansiedeln.
In Bezug auf die Verwirklichung dieser Campusidee hat Mandy Grundmann eine neue berufliche Herausforderung angenommen. Gerade baut sie eine „Servicegruppe Transfer“ auf. Deren hauptsächliche Aufgabe ist es, die Forschungsergebnisse von STIMULATE in die Praxis zu transferieren. „Schließlich wollen wir positive wirtschaftliche Effekte generieren“, sagt die Wissenschaftlerin und, dass sie Aus- und Neugründungen wie auch ansiedlungswillige Firmen begleitet und berät. Auch darin hat die junge Frau ihre Kompetenzen. Ein wacher Gründergeist zieht sich durch ihren familiären Background.
Und sie kann von einem ersten Ansiedlungserfolg bei STIMULATE berichten. ACES aus Filderstadt bei Stuttgart, ein ingenieur-technisches Beratungs- und Dienstleistungsunternehmen mit dem Schwerpunkt Medizintechnik, ist nach Magdeburg gezogen. ACES, so die Transfer-Beauftragte, stelle sich gerade neu auf – hin zur medizinischen Bilddatenverarbeitung. Das Unternehmen verspreche sich durch die Nähe zur Uni sowie durch die Kooperation mit STIMULATE einen Zugang zu gut ausgebildeten Fachkräften und einen Innovationsschub, der seine Wettbewerbsfähigkeit stärkt.
„Genau darum geht es. Wir können nur dann erfolgreich sein, wenn wir durch Innovation überzeugen“, sagt STIMULATE-Sprecher Rose. Mit diesem Anspruch agierend, hat der Forschungscampus inzwischen Dimensionen erreicht, die den räumlichen wie auch den inhaltlichen Rahmen der Experimentellen Fabrik sprengen. Mit zwölf Millionen Euro fördert das Land ein neues Domizil, in dem STIMULATE mit seinem Partnerprojekt INKA und mit den Firmen, die sich in diesem inspirierenden Umfeld ansiedeln, weitere Räume finden, in denen sie ihre Visionen verwirklichen können.
Apropos Visionen: Georg Rose bringt da den Wissenschaftshafen ins Spiel. In der Tat hat es eine gewisse Symbolkraft, wenn der Schriftzug STIMULATE aus dem historischen Speicherbau einen Leuchtturm macht, der weit hineinstrahlt in die Wirtschaft und Industrie. Die Verbindung zur Praxis ist auch den jungen Wissenschaftlerinnen wichtig. Forschen um des Forschens Willen ist nicht ihr Ding. Anwendungsorientiert müsse all das Streben schon sein, meinen Mandy Grundmann und Urte Kägebein. |
Autorin: Kathrein Graubaum