#10: Was macht Stress mit unserem Körper?

Der Terminkalender auf Arbeit ist randvoll, das E-Mail-Postfach quillt auch schon über, bei WhatsApp bleiben die Nachrichten unbeantwortet, für die Familie ist zu wenig Zeit und die Freunde bleiben sowieso auf der Strecke. Das ist auf Dauer ganz schön stressig, doch so sieht der Alltag für viele aus. Wie Stress über die gesamte Lebensspanne hinweg Angst, Lernen, Leistung und sogar unser Gedächtnis beeinflussen kann, untersucht Prof. Dr. Dr. Anne Albrecht, Professorin für Neuroanatomie am Institut für Anatomie an der Medizinischen Fakultät. Darüber und warum manche Menschen besser mit Stress umgehen können als andere, wie wir Stress in unserem Alltag begegnen können, warum Work-Life-Balance immer wichtiger wird und ob es bald die Pille gegen Stress geben wird sprach sie in der neuen Ausgabe des Wissenschaftspodcast der Uni Magdeburg „Wissen, wann Du willst.“

Heute zu Gast

Prof. Dr. Dr. Anne Albrecht studierte Humanmedizin und Neurowissenschaften an der Universität Magdeburg und erwarb hier die Titel „Dr. rer. nat.“ und „Dr. med.“ Ihre Forschung konzentriert sich auf das Verständnis der funktionellen Neuroanatomie von Stressanpassung und emotionaler Gedächtnisbildung. Hierbei liegt der Fokus auf der Rolle von Neuropeptiden und sogenannten Interneuronen bei der individuellen Stressverarbeitung in verschiedenen Lebensphasen. Vor allem Mechanismen der Stressresilienz sollen erforscht werden, um die Entstehung von stress-induzierten Störungen wie Angsterkrankungen und Depression besser verstehen zu können.

 

Der Podcast zum Nachlesen

 
Introstimme: Wissen, wann du willst. Der Podcast zur Forschung an der Uni Magdeburg.

Peer Niehof: Und damit herzlich willkommen zu einer neuen Folge „Wissen, wann du willst“. Wir sprechen hier mit Forscherinnen und Forschern der Universität Magdeburg über ihre Arbeit und erhalten so jedes Mal wirklich spannende Einblicke in die Wissenschaft. Mein Name ist Peer Niehof, und ich arbeite im Bereich Medien, Kommunikation und Marketing an der Universität. Sie können es nicht sehen und sicherlich auch nicht hören, aber ich bin heute am Institut für Anatomie auf dem Campus der Universitätsmedizin Magdeburg zu Besuch. Also nicht auf dem Hauptcampus am Uniplatz, sondern etwas am anderen Ende der Stadt. Und das hat natürlich mit unserem heutigen Thema zu tun. Euch ist das sicherlich auch vertraut: Der Terminkalender auf Arbeit ist voll, das E-Mail-Postfach quillt natürlich auch über. Bei WhatsApp sind dann auch noch ein paar Nachrichten unbeantwortet und private Verpflichtungen kommen sowieso obendrauf. Das kann ganz schön anstrengend sein, aber diese Beispiele bestimmen heute oft unseren Alltag. Dass das für vieleMenschen Stress bedeutet und im schlimmsten Fall sogar unsere Gesundheit gefährden kann, darüber wollen wir heute reden. Denn natürlich sitze ich heute hier nicht allein vor dem Mikro, sondern darf an meiner Seite Professor Dr. Anne Albrecht begrüßen. Sie ist Professorin für Neuroanatomie bei uns an der Uni Magdeburg. Und wie Stress über die gesamte Lebensspanne hinweg Angst, Lernen und sogar unser Gedächtnis beeinflusst, untersucht Frau Albrecht hier am Institut.
Schön, dass ich hier sein darf. Ich freue mich auf das Gespräch, Frau Albrecht.

 

Prof. Dr. Anne Albrecht: Hallo.

Peer Niehof: Frau Albrecht, gleich mal eine Frage zum Anfang. Wir sitzen hier bei Ihnen im Büro auf dem Campus der Universitätsmedizin. Draußen ist wunderbares Herbstwetter. Es stürmt. Wie ist Ihr Stresslevel gerade?

Prof. Dr. Anne Albrecht: Also ich würde sagen, mein Stresslevel ist auf einer Skala von 1 bis 10 bei sechs, moderat. Natürlich macht man so einen Podcast nicht jeden Tag. Es ist ein bisschen Anspannung da, aber wir haben uns ja vorher schon mal abgesprochen, was für ein Ablauf auf mich zukommt. Und das hilft natürlich, das Stresslevel in Zaum zu halten.

Peer Niehof: Das heißt, Sie sind schon mal moderat aufgeregt? Sehr gut. Das ist ja eine prima Vorlage für unser Gespräch. Stress ist ja ein Gefühl, womit nun wirklich jeder von uns etwas anfangen kann. Da kann jeder was mit assoziieren. Das kennen wir. Haben Sie sich deshalb entschieden, zu diesem Thema zu forschen? Oder was hat Ihr Interesse geweckt?

Prof. Dr. Anne Albrecht: Also meine Motivation oder mein Zugang zur Stressforschung kam eigentlich aus dem Bereich Lernen und Gedächtnis. Damit habe ich mich schon während meines Medizinstudiums hier in Magdeburg beschäftigt. Und die große Frage ist natürlich bei der Gedächtnisforschung: Warum kann ich mich an manche Sachen überhaupt nicht gut erinnern und mir die nicht gut merken? Und warum erinnere ich mich manchmal an Dinge, die ich eigentlich lieber vergessen möchte? Und hier kommt man dann ganz schnell zum Stress, weil alles, was uns aus dem Gleichgewicht bringt und alles, was uns auch emotional anteasert, das bewirkt eigentlich, dass wir uns Sachen anders merken und das beeinflusst unsere Merkfähigkeit. Und so bin ich dann dahin gekommen.

Peer Niehof: Wir haben uns auch vorher schon drüber unterhalten, dass Sie eigentlich ein Kind der Universität Magdeburg sind. Wie sind Sie denn zum Studium gekommen und was haben Sie denn überhaupt studiert?

Prof. Dr. Anne Albrecht: Also ich habe Humanmedizin hier in Magdeburg studiert und zusätzlich noch einen Kurs gemacht, Neurowissenschaft für Mediziner. Da gab es die Möglichkeit, während meiner Zeit hier einige Kurse zu belegen, den Neurowissenschaft-Diplomkurs damals, jetzt heißt es Integrative Neuro Science. Das ist ein internationaler Kurs in Englisch und in diesem Bereich habe ich mich dann weitergebildet und habe dann auch schon angefangen, während des Studiums im Labor zu arbeiten. Und danach stand halt die Frage: Gehe ich in die Klinik zurück? Und da war ich sehr interessiert an Neurologie und Psychiatrie passenderweise. Oder bleibe ich im Labor? Und ich habe mich dann dazu entschieden, im Labor zu bleiben und bin dann noch als Postdoc für vier Jahre nach Israel an die Universität Haifa gegangen und habe mich dort weiter mit Stressforschung beschäftigt. Und dann hat sich die Möglichkeit ergeben, an das Leibniz-Institut für Neurobiologie zurückzukommen. Und die habe ich dann ergriffen. Und dann gab es eine Möglichkeit, sich ja auf eine Professur zu bewerben und es hat geklappt. Da bin ich auch sehr froh drüber.

Peer Niehof: Und deswegen sitzen wir heute hier. Das ist ja der Grund. Hätten Sie mit 18 schon beim Abi gedacht, dass das mal Ihr Lebensweg wird?

Prof. Dr. Anne Albrecht: Nein, gar nicht. Also auch die Frage, ob man in die Klinik geht oder in die Forschung, das war auch lange offen. Das war sogar noch offen, als ich mit dem Studium eigentlich fertig war und dann im Labor gearbeitet habe. Aber es hat mir einfach so viel Spaß gemacht, dass ich dabei geblieben bin und habe es auch nicht bereut bis heute.

Peer Niehof: Es gibt ja nun unterschiedliche Situationen im Alltag, die Stress bedeuten und wo Stress uns auch begegnet. Das ist mal Lernstress vor einer Prüfung, das ist Beziehungsstress oder ganz aktuell, was wir immer noch erleben, diese Coronakrise. Aber auch so ein traumatisierendes Erlebnis wie ein Unfall oder der Verlust eines Angehörigen kann einem Menschen natürlich in völlige Stresssituationen bringen. Was genau passiert denn im Körper, wenn wir gestresst sind? Kann man das erklären?

Prof. Dr. Anne Albrecht: Ja, also im Prinzip kommt der Begriff „Stress“ eher auch aus der Materialforschung. Man kann das übersetzen mit Druck. Das ist ein englischer Begriff, der sich aber so bei uns eingedeutscht hat, dass wir da gar nicht mehr viel drüber nachdenken. Und der bezeichnet eigentlich in der Materialforschung so einen Zustand wie zum Beispiel: Was macht Biegung mit einem Stahlträger? Und der hat aber in biologische Systeme dann irgendwann Einfluss gefunden, weil man eigentlich damit bezeichnen müsste oder möchte: Was passiert bei Anspannung bei uns im Körper? Und wir unterscheiden dabei natürlich akuten Stress oder chronischen Stress. Und eine akute Stresssituation, das hat jeder von uns schon mal erlebt. Zum Beispiel heute Morgen auf dem Fahrrad. Stellen Sie sich vor, da schneidet Ihnen jemand den Weg ab in der Kurve. Alles geht noch mal gut, nichts ist passiert. Ihnen geht es gut, aber trotzdem merken Sie, wie Ihr Herz klopft, Ihr Blutdruck steigt, die Muskeln spannen sich an, der Körper schüttet Hormone aus. Adrenalin und Cortisol, das sind die klassischen Stresshormone und Ihr Blutzuckerspiegel steigt dadurch auch an und meistens sind Sie dann auch ein bisschen sauer. Also es gibt noch eine starke emotionale Komponente. Man flucht dann vielleicht mal leise oder nicht so leise in sich hinein. Und diese akuten Reaktionen, das sind diese klassischen „Fight or flight“-Reaktionen, die wir aus Stress kennen. Und man kann sich natürlich jetzt vorstellen, wenn sowas dauerhaft auftritt, wenn Sie dauernd unter Anspannung stehen, dauernd Ihr Blutzuckerspiegel hoch ist, dass das negativ für den Körper ist, also dass es dann ganz leicht zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen kommt. Metabolische Störungen wie Diabetes werden durch Stress dann eher begünstigt. Und es gibt natürlich dann auch noch psychische Erkrankungen wie Depression oder Angsterkrankungen, die durch Stress ausgelöst werden können.

Peer Niehof: Können Sie diese „Fight or flight“-Situation noch mal ein bisschen genauer erklären, weil wahrscheinlich viele nicht direkt verstehen, was das bedeutet.

Prof. Dr. Anne Albrecht: Ja, genau. Das hat auch was zu tun mit unserem vegetativen Nervensystem. Da gibt es im Prinzip zwei große Systeme. Den einen nennt man Sympathikus, den anderen nennt man Parasympathikus. Und der sogenannte Sympathikus, der über Adrenalin wirkt, der ist für diese „Fight or flight“-Reaktion zuständig. Das ist evolutionär sehr alt in uns angelegt, und es bedeutet einfach, dass wenn wir einer Gefahrensituation ausgesetzt sind, wird der Körper unbewusst darauf programmiert, dass wir entweder uns der Gefahr stellen und anfangen zu kämpfen oder dass wir gut darauf präpariert sind wegzurennen. Deshalb auch die Muskelanspannung, die Erhöhung des Blutzuckers zur Bereitstellung von Energie. Und ich bin dann einfach gut darauf präpariert, vor dem Säbelzahntiger wegzurennen. Nur ist das Problem, dass wir nicht mehr so viele Säbelzahntiger in unserem Alltag haben und dass diese Reaktionen langfristig schädlich sein können.

Peer Niehof: Also es ist etwas, was schon lange in der Evolution des Menschen eigentlich verankert gewesen ist?

Prof. Dr. Anne Albrecht: Genau. Und nicht nur bei Menschen, sondern es ist so ein System, das wir auch bei allen möglichen anderen Tieren wahrnehmen können.

Peer Niehof: Also Säbelzahntiger gibt es ja nun nicht mehr so häufig und treffen wir im Alltag in Magdeburg eher selten an, aber Sie haben ja richtig gesagt: Auch wenn ich mit dem Fahrrad unterwegs bin, mich ein Auto schneidet, dann rege ich mich mit Sicherheit auf. Dann ist mein Körper gestresst und zeigt diese Reaktion. Aber ja, hoffentlich nicht den ganzen Tag und anhaltend. Aber diese Situation ist erst mal für ein paar Minuten auf jeden Fall da. Aber irgendwann wird ja auch Stress für den Körper zur Gefahr. Gibt es da Merkmale, wann das passiert?

Prof. Dr. Anne Albrecht: Na ja, zum Beispiel ist ein Merkmal, was viele unbewusst wahrnehmen, dass man wirklich nicht mehr so gut einschlafen kann. Also man liegt dann abends da, fühlt sich immer noch angespannt und denkt über viele Sachen, die einem am Tag widerfahren sind, ständig nach. Und dieses Kreisen von Gedanken hört dann nicht auf oder man wacht nachts auf oder man fühlt sich halt wirklich den ganzen Tag so ein bisschen hibbelig und unruhig. Das sind so Sachen, wo man merkt okay, da bin ich irgendwie aus dem Gleichgewicht und da müsste ich vielleicht noch mal ansetzen, wie ich mir aktiv ein paar Strategien zurechtlegen kann, um diese Sachen abzuarbeiten. Zum Beispiel mein Adrenalin-Überschuss.

Peer Niehof: Also gibt es auch Anpassungsreaktionen des Körpers?

Prof. Dr. Anne Albrecht: Wie Sie schon gesagt haben, Stress widerfährt uns ja ständig und von uns bekommt jetzt nicht jeder zwangsläufig davon eine metabolische Störung oder eine Depression. Und es ist halt so, dass jeder von uns individuell anders auf Stress reagiert. Und es ist schwer zu sagen, wo da die Grenzmarken liegen. Das ist tatsächlich auch ein Forschungsgegenstand, herauszufinden, welche Biomarker, also zum Beispiel irgendwelche Blutwerte, es geben könnte, die voraussagen, wer eine Depression bekommt oder nicht. Da gibt es ganz interessante Forschungsarbeiten hier auch auf dem Campus, die sich mit der Interaktion mit dem Immunsystem zum Beispiel beschäftigen, weil wir zum Beispiel wissen, dass bei Stress Entzündungsmarker hochgehen. Und gleichzeitig bedeutet es für den Körper Stress, wenn ich unter einer Entzündung leide, zum Beispiel bei einer Hauterkrankung. Also diese Dinge, die bedingen sich gegenseitig.

Peer Niehof: Kann Stress denn eigentlich auch zu einer Verminderung unserer kognitiven Fähigkeiten führen?

Prof. Dr. Anne Albrecht: Das ist in der Tat so. Gerade bei Dauerstress sehen wir sogar, dass sich Hirnmasse in Kernspinuntersuchungen zum Beispiel vermindert. Das liegt meistens daran, dass die Verbindungen zwischen Nervenzellen gestört sind und abnehmen, die sogenannten Synapsen. Im schlimmsten Fall kann es auch dazu führen, dass ganze Neuronen zugrunde gehen. Aber meistens ist es reversibel, insofern, dass sich diese Verbindungen wieder aufbauen können. Und das passiert vor allen Dingen in Hirnregionen wie dem sogenannten Hippocampus oder dem präfrontalen Kortex, die für Kognition besonders wichtig sind. Und Sie merken das vielleicht auch mal selber an sich, dass man so ein bisschen zerstreuter wird, wenn man unter vielen Eindrücken und Terminstress leidet. Und das liegt daran, dass wir dann auch akute Effekte haben. Die Wirkfähigkeit unserer Synapsen läuft dann nicht mehr so optimal ab.

Peer Niehof: Das ist richtig, ich habe nämlich wirklich den Eindruck, dass wenn ich unter Stress stehe, meine körperlichen Fähigkeiten, meine Bewegungsabläufe ein bisschen nachlassen, dass ich dann vielleicht eher was fallen lasse, meinen Fuß irgendwo anstoße, irgendwo gegenbuffe. Das passiert dann eher, als wenn ich halt nicht unter Stress bin.

Prof. Dr. Anne Albrecht: Ja, das liegt auch daran, dass man seine Aufmerksamkeit anders steuert und dadurch werden wieder andere Hirnareale angesprochen.

Peer Niehof: Okay, also das heißt, das ist nicht tollpatschig sein bei mir, das ist wissenschaftlich belegbar. Das ist sehr gut zu wissen. Frau Albrecht, über 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler forschen im Bereich neuronale Kognition hier an der Universität Magdeburg. Auch Sie sind ja an einem Forschungsprojekt vertreten und befassen sich mit dem Schlafmittel als Stressfaktor. Was genau wollen Sie denn da bei dem Projekt herausfinden?

Prof. Dr. Anne Albrecht: Genau. Es gibt da seit Januar ein großes Verbundprojekt bei uns. Da geht es um neuronale Ressourcen der Kognition. Und ich habe da auch ein Teilprojekt zusammen mit Professor Oliver Stork vom Institut für Biologie.

Peer Niehof: Am Hauptcampus. Der sitzt quasi nicht in der Universitätsmedizin, sondern am Uniplatz oder an beiden Standorten?

Prof. Dr. Anne Albrecht: Also das Institut ist tatsächlich hier nur ein paar 100 Meter Luftlinie auf unserem medizinischen Campus, aber das Gebäude gehört sozusagen zur Fakultät für Naturwissenschaften. Und ja, wir forschen zusammen an einem kleinen Molekül, was im Gehirn an strategisch wichtigen Stellen sitzt oder an den Rezeptoren dafür, die quasi „Andockstellen“ für dieses Molekül sind. Und dieses Molekül heißt Orexin. Und wir beschäftigen uns damit, was Orexin machen kann, um kognitive Störungen zu beheben, besonders unter Jetlagbedingungen zum Beispiel. Also, wenn ich eine Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus habe. Und wer schon mal so einen Langstreckenflug gemacht hat, der kann sich erinnern, da ist man die nächsten paar Tage erst mal doch ziemlich eingeschränkt in seiner kognitiven Leistungsfähigkeit, durch das Molekül Oxerin, was eigentlich den Schlaf regulieren kann. Und wir wollen halt untersuchen, welche zellulären Mechanismen und welche Verbindungen zwischen den verschiedenen Hirnarealen, die für Kognition wichtig sind, aber besonders durch Orexin moduliert werden können. Und die Langzeitstrategie ist natürlich, dass wir uns nicht nur mit Jetlag beschäftigen, sondern auch wieder zu kognitiven Störungen bei Stress oder bei Alterungsprozessen kommen und diese Kenntnisse über die zellulären Prozesse des Orexins dann wieder dort nutzen können.

Peer Niehof: Wir hatten uns im Vorgespräch schon über das Thema unterhalten, denn bei Männern und Frauen unterscheiden sich ja diese extremen Stresssituationen teilweise doch schon erheblich. Ist das denn feststellbar? Weil wir hatten zum Beispiel darüber gesprochen, dass ja auch bei Trennungen oder bei Scheidungen es Unterschiede gibt, wie Männer und Frauen mit Stress umgehen.

Prof. Dr. Anne Albrecht: Ja, also es gibt da viele Erkenntnisse, also man kann nicht sagen, dass Männer oder Frauen, einer von beiden weniger Stress anfällig ist oder nicht. Das ist einfach nur so, dass man anders mit Stress umgeht und dass einen Stress vielleicht auch anders krank macht. Es gibt zum Beispiel eine stressinduzierte Erkrankung, die sogenannte posttraumatische Belastungsstörung. Die kann sich entwickeln, wenn wir einem Trauma ausgesetzt sind, also zum Beispiel einen Unfall oder einem anderen, potenziell lebensbedrohlichen Ereignis. Und da ist es ganz klar so, dass Männer oft eine Substanzabhängigkeit entwickeln. Und bei Frauen sieht man das sehr selten. Da sieht man eher, dass sie depressionsartige Symptome mitentwickeln können. Und auch wenn wir im normalen Alltag unterwegs sind – wir hatten gerade diese Trennungsproblematik besprochen. Da hatten wir uns kurz drüber unterhalten. Da ist es oft auch so, dass Frauen andere soziale Netzwerke für sich gestrickt haben als Männer, meistens sogar im mittleren Alter. Da gibt es auch interessante Studien dazu, dass Männer so tiefe Freundschaften, wo man wirklich über die Gefühle spricht, eher nicht so haben. Dann hat man eher so den Kumpel, mit dem man zum Sport geht. Bei Frauen ist das durchaus noch ausgeprägter. Und dann kommen wir zu einem ganz wichtigen Punkt: Was hilft uns gegen Stress? Nämlich soziale Netzwerke sind da ein ganz positiver Einflussfaktor. Und wenn die anders angelegt sind, dann kann es auch zu unterschiedlichem Umgang mit Stress und unterschiedlichen Stressstrategien kommen.

Peer Niehof: Das bedeutet, es kommt gar nicht darauf an, dass ich einen großen Freundeskreis habe, sondern dass ich natürlich, wenn Sie soziale Netzwerke ansprechen, auch einen Freundeskreis habe, mit dem ich mich austauschen kann, was Frauen dann wahrscheinlich laut Wissenschaft eher machen als Männer.

Prof. Dr. Anne Albrecht: Genau, das kann man natürlich nicht immer. Eine Statistik bedeutet noch nicht, dass der Einzelfall immer so aussieht. Genau. Aber es ist halt tatsächlich so, dass man ein stabiles soziales Netzwerk, was wirklich supportiv wirkt, also was unterstützend wirkt, dass das wirklich ein wichtiger Faktor ist. Das sind dann Leute, die ich, wenn ich jetzt wirklich traurig bin, dann auch mal nachts um vier zur Not anrufen kann. Oder wenn ich Hilfe brauche, einen Umzug zu organisieren, wenn man sich getrennt hat oder solche Sachen. Dass die auch wirklich dann da sind und sich mit kümmern und sich die Zeit dafür nehmen. Das ist sicherlich noch mal eine andere Qualität, als wenn ich einen guten Bekannten habe.

Peer Niehof: Sie hatten vorhin schon den Begriff Resilienz erwähnt. Können Sie uns noch mal und auch den Zuhörerinnen und Zuhörern erklären, was das genau bedeutet?

Prof. Dr. Anne Albrecht: Also Resilienz kann man direkt übersetzen mit einer Widerstandsfähigkeit. Das bedeutet im Prinzip, dass ich mit Stress anders umgehen kann und vielleicht eine Strategie entwickelt habe, um nicht von Stress krank zu werden. Und da können wir wieder diese posttraumatische Belastungsstörung vielleicht mal als Beispiel heran nehmen. Nach einem Unfall geht man davon aus, dass ungefähr um die 30 Prozent der Leute so eine posttraumatische Belastungsstörung entwickeln können. Der Rest, der kommt aber damit gut klar. Wenn Sie sich das selber vorstellen, ist es natürlich normal, dass ich nach einem so traumatischen Ereignis erst mal darauf reagiere, diese akute Stressreaktion habe. Normalerweise ist es so, dass man sich nach einigen Tagen zwar weiter damit beschäftigt, ganz klar. Aber, dass diese körperliche Reaktion darauf dann abklingt. Bei einer posttraumatischen Belastungsstörung geht man davon aus, dass nach einem Monat diese Stressantwort weiter anhält. Also es treten Schlafstörungen auf, Konzentrationsstörungen. Man fühlt sich immer angespannt, eine Übererregbarkeit tritt auf. Und dazu gehört noch, dass man sich an dieses traumatische Ereignis extrem stark erinnert. Also dieses emotionale Gedächtnis ist aus dem Gleichgewicht gebracht. Und jetzt ist natürlich die Frage: Warum kriegen das 30 Prozent der Leute und warum kriegen das die anderen Leute nicht? Wie gesagt, da gibt es so die epidemiologische Forschung, die sich mit Einflussfaktoren beschäftigt, die hat herausgefunden, dass Leute mit einem stabilen Netzwerk besser klarkommen. Es gibt auch genetische Faktoren, die man darauf zurückführen kann. Aber für uns ist es so eine große Frage: Was passiert denn eigentlich im Gehirn bei den Leuten, die resilient sind, also widerstandsfähig. Und was passiert bei den Leuten, die krank davon werden? Und tatsächlich ist es so: Dieser Begriff oder die Resilienzforschung an sich, die ist noch gar nicht so alt. Da gab es vor 10, 15 Jahren so die ersten Paper, die sich dann mehr damit beschäftigt haben, was eigentlich so auf molekularer Ebene eine Rolle spielen könnte. Und uns interessiert dieses Thema auch extrem. Und grundsätzlich ist es natürlich so: Wenn ich jetzt weiß, was Resilienz vermittelt, kann ich vielleicht den Leuten, die so einen Unfall durchgemacht haben, auch irgendwann mal weiterhelfen.

Peer Niehof: Das bedeutet, eine posttraumatische Belastungsstörung ist natürlich ein Unfall oder ein wirklich traumatisches Erlebnis, was jetzt im Alltag natürlich nicht regelmäßig auftritt. Das bedeutet, es gibt ja unterschiedliche Arten. Also es gibt unterschiedliche Arten von Stress, was jetzt im Grunde genommen wahrscheinlich die Grundlage ist. Und dann gibt es natürlich die posttraumatische Belastungsstörung, die einfach noch mal eine Ebene drüber legt, sozusagen.

Prof. Dr. Anne Albrecht: Genau. Das wäre dann so eine psychiatrische Erkrankung, die nur nach extremem Stress auftritt, die wir jetzt im Alltag hoffentlich nicht so haben. Aber es ist tatsächlich so, dass es Studien gibt, was unsere Wahrscheinlichkeit ist, so ein potenziell lebensbedrohliches oder so ein extrem starkes Ereignis mal zu durchleben. Und die kann bis zu 80 Prozent liegen in so einer westlichen Gesellschaft.

Peer Niehof: Bei der posttraumatischen Belastungsstörung ist es natürlich eher so, dass man das wahrscheinlich schwierig untersuchen kann, weil es einfach nicht genug, in Anführungsstrichen, genug Menschen für die Wissenschaft gibt, die das erlebt haben. Wie weit ist denn da die Wissenschaft? Kann man das schon irgendwie grob sagen?

Prof. Dr. Anne Albrecht: Ja, es gibt natürlich hier in Sachsen-Anhalt zum Beispiel eine Ambulanz für Gewaltopfer, an die man sich wenden kann. Und in Berlin gibt es da auch so eine große Ambulanz. Und natürlich ist es so, dass man dann auch Probanden finden kann, die man untersuchen kann. Anderer Punkt ist natürlich: In unserem Labor arbeiten wir nicht mit Probanden, sondern wir arbeiten mit verschiedenen Modellen im Nagetier, in denen wir auch solche Situationen simulieren können. Und wir gucken natürlich auch, wie geht es den Mäusen danach, nach einem psychologischen Stress und dann kann ich dasselbe sehen. Ich habe also Tiere, die sich wie eine Kontrollgruppe, die immer glücklich im Käfig saß, verhält. Und ich habe Tiere, die individuell zum Beispiel in einem bestimmten Test-Setting dann doch ein bisschen ängstlicher reagieren. Und da ist natürlich jetzt die Frage: Wie unterscheiden die sich molekular? Zum Beispiel.

Peer Niehof: Wenn wir noch mal auf die Resilienz zurückkommen. Gibt es denn Faktoren, die die Resilienz irgendwie fördern?

Prof. Dr. Anne Albrecht: Ja, wie gesagt, da hatten wir uns ja schon unterhalten über das soziale Netzwerk als großen Faktor. Ein zweiter Punkt ist natürlich, jeder von uns kennt in seinem Alltag oder macht das auch unbewusst, benutzt Strategien, die uns helfen, mit Stress umzugehen. Zum Beispiel ist es so, dass viele von uns so ein bestimmtes Hobby haben, dem sie nachgehen. Sport ist da so ein guter Punkt. Wenn wir uns noch mal daran erinnern, wie eine akute Stressreaktion aussieht, Adrenalinausschüttung und Muskelanspannung, dann kann man sich vorstellen, dass wenn man sich dann auf dem Fußballfeld austobt oder beim Laufen, dass das wirklich eine gute Strategie ist, um gegen diese Stressreaktion anzukämpfen und diese abzubauen. Auch langfristig. Und das sind sicherlich Strategien, die viele von uns so in den Alltag schon mit einbauen. Natürlich ist es so, dass da jeder so seine eigene Nische findet und dass das auch immer situationsangepasst dann stattfindet.

Peer Niehof: Das bedeutet, man kann seine Widerstandsfähigkeit in gewisser Art und Weise bereits trainieren. Manche machen das schon, wahrscheinlich unterbewusst, gerade durch Sport. Wir hatten ja auch schon darüber geredet, dass es ja Unterschiede beim Stress zwischen den Geschlechtern gibt. Gibt es da aber auch Unterschiede im Alter? Also ist zum Beispiel ein junger 18-Jähriger stressresistenter als vielleicht jemand, der gerade die 60 gekratzt hat?

Prof. Dr. Anne Albrecht: Das ist eine gute Frage. Also im Prinzip ist es ja so, wenn wir uns die körperlichen Reaktionen anschauen, dann ist es so, dass jüngere Menschen sicherlich noch einen größeren Puffer haben, bevor sie irgendwann mal ein metabolisches Syndrom entwickeln, obwohl man sich das auch so vorstellen kann, dass man wie so ein Konto anlegt, wo man dann draufzahlt und ein stressreicher Lebensstil sich nicht unmittelbar rächen muss. Aber ich habe dann ein höheres Risiko, Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu entwickeln. Und diese typischen Managerkrankheiten, die kriegen Sie ja auch nicht, wenn Sie 30 sind. Aber das schlägt dann zu, wenn man ein bisschen älter ist. Und tatsächlich kommt es wieder ganz auf die Situation an. Man hat natürlich vielleicht körperlich ein bisschen mehr Puffer, Sachen auszugleichen in jüngeren Jahren. Man hat sicherlich aber übers Alter mehr kognitive Strategien erlernt, auch mit Stress umzugehen, wo einfach vielleicht die Erfahrung fehlt in jüngeren Jahren.

Peer Niehof: Okay, das ist schon mal gut zu wissen. Frau Albrecht, wenn ich versuche, meinen Alltag zu strukturieren, dann kann das ja auch in Stress ausarten, Arbeit, Sport, Freunde treffen etc. pp. Welche Arten von Stress gibt es denn? Wir haben das jetzt schon so leicht gekratzt, aber da gibt es sicherlich noch mehr Arten als, in Anführungsstrichen, nur den normalen Stress, die posttraumatische Belastungsstörung.

Prof. Dr. Anne Albrecht: Genau. Also ich könnte es nach Intensivität klassifizieren. Wir haben auch schon angesprochen, Akut- vs. Dauerstress, das ist ja auch ein wichtiger Punkt, ob ich immer nur akute Stressereignisse haben, die abklingen. Ich kann mich ausreichend erholen oder ob es in Dauerstress ausartet. Und zum anderen ist es natürlich so, dass Stress nicht immer nur schlecht sein muss. Also, in der Stressforschung unterscheidet man auch gerade in der Arbeitsmedizin Eustress und Distress. Eustress bedeutet immer gut, kommt aus dem Griechischen. Distress wäre der Stress, der negativ ist. Und jeder von uns hat das sicherlich schon mal erlebt, dass so eine Deadline sehr belebend sein kann. Also dass man dann plötzlich ganz viel weg schafft, wenn die Zeit halt dann darauf drängt. Und wieder ist es so, manche Leute genießen das ja wahnsinnig, wenn der Tag sehr vollgepackt ist, wenn der Terminkalender voll ist und sie ganz viel Action haben und ganz viele Leute treffen. Und vielleicht eher introvertierte Persönlichkeiten, die empfinden das dann halt schon als unangenehm, als stressig. Und da kommen wir wieder auf die individuelle Balance zu sprechen, dass auch diese Sachen nicht gleich sind für jeden. Und entsprechend seiner eigenen Neigungen eignet man sich dann eigene Anpassungsstrategien an.

Peer Niehof: Das passiert wahrscheinlich auch ganz oft einfach unterbewusst.

Prof. Dr. Anne Albrecht: Genau. Also es ist sicherlich so, wenn ich jetzt meinen Terminplan sehr voll mag, dann plane ich ja meinen Tag entsprechend. Oder wenn ich es zum Beispiel überhaupt mag, dass ich Pläne mache. Das ist ja auch so eine Strategie, um seinen Stress abzubauen. Ich mag das auch lieber, wenn ich weiß, was am Tag auf mich zukommt, wenn alle Termine irgendwo auf einer Liste stehen und ich auch meine To-Do-Liste abhaken kann. Das beruhigt mich.

Peer Niehof: Ja, mich auch.

Prof. Dr. Anne Albrecht: Und es gibt aber auch Leute, die das eher einzwängt, die dann das Gefühl haben, ihr Tag wird irgendwie fremdbestimmt oder kontrolliert, und die wären dann vielleicht eher nicht so der Typ, der das wahrnimmt.

Peer Niehof: Ich habe ganz oft den Eindruck, dass, wenn man so in die Gesellschaft guckt, dass der Stress oder dieser Begriff Stress zu einem Modebegriff geworden ist und auch wirklich zu so einem Statussymbol. Denn wer ja viel Stress hat, der hat viel zu tun, der ist wahnsinnig beliebt, der hat viel um die Ohren, ist damit irgendwie auch wichtig. Meiner Meinung nach ist das eine gefährliche Entwicklung. Wie sehen Sie das?

Prof. Dr. Anne Albrecht: Ja, diese Entwicklung gibt es. Die gibt es schon ganz lange, dass der, der immer busy ist, auch besonders nachgefragt oder leistungsfähig ist. Es gibt aber auch, mein Gefühl, eine Gegenbewegung, in der es um Work-Life-Balance zum Beispiel geht. Das ist ja so ein großes Schlagwort, was jetzt für viele Firmen immer wichtiger wird. Und selbst bei uns an der OVGU gibt es ja auch Angebote, wie ich zum Beispiel kleine Auszeiten in meinen Arbeitsalltag integrieren kann, wie zum Beispiel eine aktive Pause oder Sportangebote. Oder es gibt flexiblere Arbeitszeitmodelle, wo ich dann mir den Tag besser einteilen kann und es wird familienkompatibler. Also ich sehe schon, dass es da so eine Gegenbewegung gibt und dass auch so Stichworte wie Achtsamkeit, die ja auch wieder auf Förderung von Widerstandsfähigkeit und Stressabbau zielen, dass die in unserem Alltag doch eine immer größere Rolle spielen.

Peer Niehof: Dann kommen wir eigentlich auch schon zum passenden Thema, weil was hilft gegen Stress? Wollen jetzt vielleicht auch einige Zuhörerinnen und Zuhörer wissen. Wenn ich mal Stressabbau google, wirklich dieses Keyword eingebe, dann bekommt man so wunderbare Vorschläge, wie man soll Lieder summen, man soll Hände unter warmes Wasser halten oder man soll Yoga machen. Aber auch so wunderbare Vorschläge wie eine digitale Auszeit. Also das Handy wirklich mal daneben legen und den Laptop ausschalten. Sind das Tipps, die wirklich helfen oder kann da die Wissenschaft was anderes herausfinden und sagt: Es sind ganz andere Ansatzpunkte?

Prof. Dr. Anne Albrecht: Tatsächlich ist es so, dass alle diese kleinen Methoden darauf abzielen, dass ich mich aus einer Situation kurz rausnehme und eine kurze Pause mache und mich auf was anderes konzentriere, zum Beispiel die Hände unter Wasser halten. Und das ist das, was uns dann im Prinzip eine Möglichkeit gibt, uns kurz zu resetten und zu schauen: Wie geht es mir denn eigentlich dabei? Also es kann schon eine Strategie sein, die da hilfreich ist. Tatsächlich gibt es auch richtig knallharte Belege dafür, dass zum Beispiel Meditationstechniken, bestimmte Atemtechniken was mit unserem Hirn machen und zum Beispiel rhythmische Hirnaktivität kontrollieren. Also, wenn Sie sich Zeit nehmen und für einige Minuten konzentriert tief ein und ausatmen, dann bewirkt das, dass unser Gehirn in einen bestimmten Rhythmus kommt und wir uns dabei beruhigen. Und wenn ich das zum Beispiel nachstelle, auch einem Tiermodell und da so eine rhythmische Hirnaktivität induziere, dann kann ich sehen, dass auch die Tiere zum Beispiel weniger ängstlich sind plötzlich. Also das kann ich wirklich nachstellen. Und diese Information kann ich dann eben auch in meinen Alltag mit einbauen. Und dadurch, dass die Stressreaktion immer so individuell ist, muss natürlich jeder gucken, was für einen selbst so funktioniert. Also ich mache auch Yoga, da gibt es ganz viele andere Stile, die man da machen kann. Und ich mag das zum Beispiel überhaupt nicht, wenn man dann minutenlang auf einer Stelle sitzen muss und eine bestimmte Position halten muss. Das entspannt mich gar nicht. Eher im Gegenteil. Aber wenn man sich so dabei bewegt und dabei atmet, das finde ich sehr angenehm, dann fühle ich mich auch danach entspannter, wenn ich aus dem Kurs rauskomme.

Peer Niehof: Aber was wir auf jeden Fall gelernt haben, ist, dass es super individuell ist; dass der eine sagt: Okay, die Atemübungen funktionieren bei mir. Bei mir selbst ist es eher der Sport und nicht auch der Sport, wo man viel einatmet, so dass man sich etwas schneller bewegt. Es ist gar nicht vielleicht der Sport an sich, sondern vielleicht auch die Phase danach, wie Sie gesagt haben, dass man zur Ruhe kommt, dass der Körper ein bisschen runter fährt. Das ist wahrscheinlich das, was den Stressabbau unterstützt. Sie untersuchen in dem Zusammenhang gemeinsam mit den Biologen der Uni Magdeburg auch den Prozess der Autophagie. Was ist das denn? Können Sie das ungefähr erklären, was dieser Begriff bedeutet und was Sie machen?

Prof. Dr. Anne Albrecht: Genau. Also Autophagie ist ein Prozess, den selbst Hefezellen schon haben, also den, der bis in die Säugetierzellen dann weiterverfolgt worden ist. Und Autophagie ist so ein Reinigungsmechanismus der Zelle, so könnte man das beschreiben, wo zum Beispiel Proteine, die nicht mehr gut funktionieren oder Zellbestandteile, die nicht mehr gut funktionieren, abgebaut werden. Und in Neuronen ist die Rate an diesen Abbauprozessen tatsächlich relativ hoch. Aber die werden nicht nur dazu genutzt, um zum Beispiel fehlgefaltete Proteine, die auch eine Ursache sind für Erkrankungen wie Alzheimer-Demenz, abgebaut werden, sondern wir nutzen Autophagie in Neuronen auch, um bestimmte Signalmoleküle, die wieder für die sogenannte Plastizität, die Informationsübertragung und die Anpassung der Informationsübertragung wichtig sind. Und Autophagie kann dann zum Beispiel so ein Molekül, das in der Zelle sitzt, um Informationen von der Nachbarzelle aufzunehmen, kann das dann zum Beispiel modifizieren, aufnehmen und dafür sorgen, dass es dann da nicht mehr sitzt. Und das beeinflusst wieder, wie wir Informationen auf zellulärer Ebene verarbeiten. In unserem Projekt, das wir dann im Januar richtig starten wollen, geht es wieder um ein kleines Molekül im Gehirn, das sogenannte Neuropeptid Y.

Peer Niehof: Können Sie noch kurz erklären - wir waren alle in Biologie, haben bestimmt super aufgepasst – was ein Neuropeptid ist?

Prof. Dr. Anne Albrecht: Also Neuropeptid ist eigentlich so ein kleines Miniprotein. Und das besondere an den Neuropeptiden ist, dass sie nicht als die üblichen Neurotransmitter am ganzen Gehirn vorkommen, sondern es gibt bestimmte Zellen, die die produzieren, und die sitzen nur an bestimmten Stellen im Gehirn. Das Neuropeptid wird dann aber ausgebreitet und weitertransportiert zu anderen Hirnarealen. Dort gibt es dann Andockstellen dafür und in diesen Zellen, im Zielareal, werden bestimmte Prozesse ausgelöst. Und wir wissen zum Beispiel über dieses sogenannte Neuropeptid Y, dass es angstlösend wirkt und dass es auch die Resilienz zu fördern scheint, selbst bei traumatischem Stress. Aber wir wissen nicht so gut, was eigentlich in den Zellen passiert, wenn NPY dort andockt. Und wenn wir das verstehen können, dann könnten wir vielleicht auch zur Entwicklung von Medikamenten, die die Resilienz fördern, letztendlich beitragen. Und wir wissen, dass NPY Autophagie anschiebt und denken, dass dieser Mechanismus eine große Rolle dabei spielen kann. Wir wissen das schon durch Vorbefunde, die ich zusammen mit Anke Müller aus dem Institut für Pharmakologie in einem gemeinsamen Projekt erhoben habe. Das lief über das Center for Behavior Brain Research, das CBBS hier am Campus. Da wussten wir schon, dass ein bestimmtes Signalmolekül in den Zellen über NPY-vermittelte Autophagie verändert wird. Und in unserem gegenwärtigen Projekt konzentrieren wir uns auf die sogenannte Prä-Synapse, also auf bestimmte Strukturen im Hippocampus, einer Hirnregion, die wichtig ist für die Integration von Gedächtnis, aber auch für emotionales Lernen.

Peer Niehof: Wenn wir in die Zukunft blicken, Sie haben das Thema eben schon angesprochen. Medikament, das ist ja ein spannender Punkt. Gibt es irgendwann mal ein Medikament, das den Stress entfernt oder uns widerstandsfähiger macht? Gibt es da irgendwelche Prognosen für die Zukunft?

Prof. Dr. Anne Albrecht: Die Idee ist natürlich, dass wir gerade dann ein Medikament entwickeln, wenn es neurologisch-psychiatrisch relevant wird. Also wir hatten schon das Beispiel der posttraumatischen Belastungsstörung oder das Beispiel der Depression. Da ist es natürlich wichtig, dass wir unsere Medikamente verbessern. Bei der Posttraumatischen Belastungsstörung ist es so, dass die Medikamente, die es da gegenwärtig gibt, vielleicht einem Drittel der Patienten gut helfen. Bei einem Drittel ändert sich nicht so viel und einem Drittel geht es auch unter medikamentöser Therapie schlechter. Und hier ist es natürlich wichtig, dass wir Medikamente entwickeln können, denn das ist ein traumatisches Ereignis und wir können bisher nicht voraussagen, wen es dann trifft, wer eine PTBS entwickelt, so eine posttraumatische Belastungsstörung. Und wir können auch noch nicht vorhersagen, wie lange das dann geht. Es kann sie also in jungen Jahren treffen und dann nehmen sie das für den Rest ihres Lebens mit sich. Und hier ist es wichtig, präzisere Medikamente zu treffen. Es gibt Medikamente, die zum Beispiel auf Neurotransmittersysteme abzielen, die uns runter dämpfen. Dadurch lässt die Angst nach. Aber man wird müde, kann sich schlecht konzentrieren, hat eine schlechte Merkfähigkeit und schlimmer noch, die machen abhängig. Also ich muss immer die Dosis erhöhen und es gibt Entzugserscheinungen, wenn ich das absetzen will. Es ist also nicht so ideal. Andere Medikamente, die es im Moment gibt, zum Beispiel Antidepressiva, die eigentlich nicht dafür zugeschnitten sind, aber helfen können. Also der Bedarf ist eindeutig da. Und was können wir daraus machen? Eine Idee ist zum Beispiel mit diesem Neuropeptid Y, wenn wir wissen, dass das hilft, können wir das natürlich auch geben. Diese kleinen Neuropeptide, die Moleküle sind so klein, die kann man als Nasenspray geben, weil nämlich der Übergang unserer Nasenschleimhaut sehr dünn und durchlässig ist, diese Knochen-Lamelle bis zum Gehirn. Und das funktioniert, dass man kleine Moleküle dort eingibt und die diffundieren dann sozusagen durch. Und es gibt erste Versuche, dass das mit diesem NPY-Molekül, also Neuropeptid-Y-Molekül auch funktioniert und dass das im Gehirn dann ankommt. Problem ist natürlich, wenn ich die Mechanismen, die relevant sind für Gedächtnis und für Stressverarbeitung nicht ausreichend verstehe, dann kriege ich mehr Nebenwirkungen, weil Neuropeptid Y zum Beispiel auch auf den sogenannten Hypothalamus wirkt. Eine Hirnregionen, die für Nahrungsaufnahme zuständig ist und dann kriege ich ganz viel Hunger. Dann bin ich zwar weniger ängstlich, habe aber dann ein anderes Problem. Und da sieht man halt schon, dass man genau austarieren muss und genau die Wirkungsmechanismen verstehen muss, um gerade diese ungewollten Nebeneffekte unterdrücken zu können. Und da sind wir auf dem Weg, aber der ist noch länger.

Peer Niehof: Das heißt ein sehr, sehr schwieriger Entwicklungsprozess und man sollte sich das nicht so vorstellen, dass es dann ein Medikament gibt, eine Pille, die man einwirft und der Stress ist auf einmal verloren und vergangen. Das passiert nicht, sondern es ist auch schon sehr speziell für gewisse Zielgruppen entwickelt.

Prof. Dr. Anne Albrecht: Genau. Und wie gesagt, Stress ist ja wieder sehr individuell, wie der wahrgenommen wird. Und es ist sicherlich sinnvoller, wenn man sich Strategien wie Sport zum Beispiel überlegt für seinen Alltag. Das wird sicherlich einfacher sein, als Medikamente zu nehmen, wo man Wirkung gegen Nebenwirkungen austarieren muss. In diesem individuellen Spannungsfeld, das ist sicherlich ein sehr schwieriger Punkt. Und die Zielgruppe sind wirklich Patienten mit einer psychiatrischen Grunderkrankung, die ihren Alltag so nicht mehr bewältigen könnten.

Peer Niehof: Zum Abschluss habe ich noch zwei Fragen an Sie, Frau Albrecht. Wann erleben Sie denn eigentlich Stress?

Prof. Dr. Anne Albrecht: Also im beruflichen Umfeld gibt es da sicherlich viele Situationen. Zum Beispiel man hat eine Vorlesung mit 200 Studenten und plötzlich steigt der Beamer aus und nichts funktioniert mehr. Dann kriege ich auch schon erhöhten Puls. Oder man hat einen wichtigen Vortrag auf einem Fachkongress und plötzlich stürzt die Präsentation ab. Also das sind sicherlich sehr, sehr unangenehme Situationen, aber man muss dann halt wieder lernen zu improvisieren und zu gucken, wie man da das Beste draus machen kann.

Peer Niehof: Haben Sie denn einen Tipp, wie man privat mit Stresssituationen umgehen kann? Was würden Sie denn eigentlich Freunden und Familie empfehlen, wenn die sagen: Frau Albrecht, Sie machen doch was mit Stress. Empfehlen Sie uns mal was. Ich habe gerade ganz viel Stress.

Prof. Dr. Anne Albrecht: Also dann würde ich natürlich auch empfehlen, über solche Strategien nachzudenken, wie zum Beispiel Sport. Und oft ist es auch so, wenn wir ein akutes Problem haben, sieht das akut erst mal ganz schlimm aus. Und wenn man aber eine Nacht drüber schläft oder erst mal abwartet, dann sind viele Probleme dann doch gar nicht mehr so riesengroß und das Stresslevel lässt sich dann anpassen.

Peer Niehof: Und wem Hände unter warmes Wasser halten hilft, dem sei so auch geholfen. Finde ich auch gut. Zum Ende des Podcasts: Wie sieht denn jetzt Ihr Stresslevel aus? Auf einer Skala von 1 bis 10?

Prof. Dr. Anne Albrecht: Das war doch ein sehr angenehmes Gespräch. Jetzt bin ich wieder ganz entspannt.

Peer Niehof: Sehr gut. Vielen Dank, Frau Albrecht, für das Gespräch. Damit sind wir schon am Ende unseres Podcasts heute. Habt ihr Fragen, Feedback, Themenwünsche. Dann freuen wir uns auch immer über Anregungen per Social Media oder auch gerne per Mail. Wir freuen uns über den Austausch mit euch. Bis dahin wünsche ich eine schöne Herbstzeit und bis bald hier bei „Wissen, wann Du willst. Der Podcast zur Forschung an der Uni Magdeburg“.

Outrostimme: Wissen, wann Du willst. Der Podcast zur Forschung an der Uni Magdeburg.

Letzte Änderung: 17.01.2024 - Ansprechpartner: Webmaster