Geschichte aus der Luft betrachtet
Ein Wissenschaftlerteam aus dem Bereich Geschichte der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg erstellt erstmals ein lexikalisches Nachschlagewerk zu den mittelalterlichen Königspfalzen auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalts. Die Könige des Ostfränkisch-deutschen Reichs regierten im Früh- und Hochmittelalter aus dem „Sattel heraus“. Das heißt sie bereisten permanent die unterschiedlichen Regionen ihres Herrschaftsgebiets. Wichtige Stationen auf diesen Reisen waren die sogenannten Pfalzen, die sie zu den unterschiedlichsten Anlässen aufsuchten. „Magdeburg ist für die Erforschung dieses Vorhabens prädestiniert. Hier war die Pfalz einer ganz zentralen Persönlichkeit der Geschichte des 10. Jahrhunderts, Ottos des Großen“, erläutert Prof. Dr. Stephan Freund, Lehrstuhl für Geschichte des Mittelalters an der Universität Magdeburg. „Die Ottonen besuchten besonders oft ihre Pfalzen auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalts, da sie in diesen fruchtbaren Gebieten einen Großteil ihrer Besitzungen hatten. So entstand eine dichte Königspfalzen-Landschaft mit oft nur 15 bis 20 Kilometern Entfernung zwischen den Pfalzen. Durch die Erforschung der Pfalzen bin ich selbst viel im Land unterwegs. Vor Ort habe ich viele Menschen gesprochen und Neugier bei ihnen für die eigene Region gespürt und für das, was sich an diesen Orten in der Vergangenheit zugetragen hat.“
Das Anliegen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sei es, das mannigfaltige Spektrum und die wechselvolle Geschichte der Pfalzen sichtbar werden zu lassen und einen Überblick zu geben, wann welcher Herrscher sich zu welchem Anlass an einem Ort aufgehalten hat, was dort geschah und welche Personen ihn dabei begleiteten, führt Professor Freund aus. „Im Ergebnis unserer Forschungen wird der ‚Band Sachsen-Anhalt‘ das sogenannte ‚Repertorium der deutschen Königspfalzen’ ergänzen. In ihm werden die Pfalzen alphabetisch aufgeführt und die Geschehnisse jeweils chronologisch geordnet sein. Damit schließen wir eine gewaltige Forschungslücke.“ Das vom Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie Frankfurt/Main herausgegebene Repertorium verzeichnet die Pfalzen, Königshöfe und übrigen Aufenthaltsorte der Könige im deutschen Reich des Mittelalters, erfasst regional geordnet sämtliche Herrscheraufenthalte auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik und macht so die Vergleichbarkeit der Orte untereinander möglich.
Die Magdeburger Forscher und Forscherinnen untersuchen die Aufenthalte der Könige in den derzeit 38 bekannten Pfalzanlagen auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalts für die Jahre 800 bis 1250. Die Aufgaben reichen dabei von der Lokalisierung der Aufenthaltsorte und deren topographischer Beschreibung über die Erfassung der Baugeschichte und Ausstattung bis hin zur Sammlung der verfügbaren Quellen und deren Interpretation. Durch die Fülle des Quellenmaterials, aber auch weil kaum noch bauliche Überreste der Pfalzen vorhanden sind, ergeben sich große methodische Herausforderungen für die Historikerinnen und Historiker der Universität Magdeburg, die sie durch eine breite interdisziplinäre Zusammenarbeit bewältigen möchten. So holen sie sich auf archäologischem Gebiet die Expertise von Kolleginnen und Kollegen der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und dem Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie ein, nutzen Kartenmaterial, Luftbilder sowie mit Hilfe von Laserstrahlen aufgenommene dreidimensionale Lidarscans des Landesamtes für Geographie und Vermessung, welche eine Modellierung der Landschaft ohne Bewuchs sichtbar werden lassen. Eine Expertin zur Namenskunde wird das Team um Professor Freund bei der Klärung von sprachgeschichtlichen Begrifflichkeiten unterstützen, denn oft ist aufgrund unterschiedlicher Schreibweisen nicht eindeutig, auf welchen Ort oder welche Person sich eine Nennung bezieht.
Die Forschungsarbeit am „Band Sachsen-Anhalt“ im Rahmen des „Repertoriums der deutschen Königspfalzen“ wird vom Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung des Landes Sachsen-Anhalt in einer ersten Förderphase mit 470.000 Euro gefördert.
Bilder zum Download:
Bild 1: Quelle: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Otto Braasch/Ralf Schwarz // Bildunterschrift: Luftbildaufnahme der Pfalz Derenburg. Aufgrund von Bewuchsanomalien sind die halbkreisförmigen Wälle (dunkelgrüne Ränder) der einstigen Anlage und deren Anordnung gut zu erkennen.
Bild 2: Quelle: Landesamt für Geographie und Vermessung // Bildunterschrift: Lidarscan der Pfalz Bodfeld. Zu erkennen ist die trapezförmige Anlage der Pfalz in Spornlage oberhalb des Trecktals (zwischen Heimburg und der Elbingerröder Hochfläche).