Neue Generation von Mensch-Maschine-Teams
Ingenieure, KI-Experten und Softwaretechniker der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg sind an einem bundesweiten Forschungsvorhaben beteiligt, dessen Ziel es ist, eine vollkommen neue Generation von Mensch-Maschine-Teams zu entwickeln. Im Rahmen des Forschungsclusters „Productive Teaming“ wollen sie gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universitäten Chemnitz und Ilmenau sowie mehreren Fraunhofer Instituten künftige Produktionsprozesse so gestalten, dass die beteiligten Maschinen intuitiv und flexibel mit dem Menschen kooperieren und sich an dem Menschen angeborenen Fähigkeiten, auf die Umwelt zu reagieren, anzupassen. Ein „produktives Teaming“ wird es dann erlauben, dass Menschen und Maschinen sich durch den Einsatz von KI kontinuierlich aufeinander einstellen, gemeinschaftlich interagieren. Dadurch soll Energie eingespart, Wiederverwendbarkeit und eine Abkehr von der Wegwerf-Gesellschaft gefördert sowie die Qualität der Arbeitsbedingungen nachhaltig verbessert werden.
„Produktionsstrecken, wie wir sie heute etwa in der Autoindustrie kennen, sind hocheffizient, basieren aber überwiegend auf festen, vorgegebenen Abläufen“, erklärt der Sprecher der Forschungsinitiative, Prof. Frank Ortmeier vom Lehrstuhl für Software Engineering der Universität Magdeburg. Dennoch würden die Nachteile, die mit dieser Form der Automatisierung verbunden sind, schwer wiegen, denn der Mensch sei an den hochautomatisierten, statischen Produktionsstrecken zum Sklaven der Maschinen geworden.
Bisher könnten Roboter nicht verstehen, ob jemand unsicher oder müde sei, Rückenschmerzen habe oder auf eine Veränderung in der Umgebung reagieren müsse. Die Frage muss deshalb sein: „Wie können Mensch und Maschine bei der Bearbeitung komplexer Aufgaben gleichberechtigt und menschenzentriert zusammenarbeiten? Wie könnten intelligente Systeme kognitiv so erweitert werden, dass sie in der Lage sind, die Fähigkeiten und Bedürfnisse der menschlichen Teampartner in solchen Prozessen dynamisch zu antizipieren? Diese Fähigkeiten wollen wir jetzt den Maschinen beibringen und die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine auf eine neue Ebene heben“, so Ortmeier weiter. Ziel sei ein Paradigmenwechsel in der Produktion von maximaler Automatisierung und Standardisierung von Produktionsprozessen hin zur maximalen Flexibilisierung und Dynamisierung.
Ein besonderer Fokus des Forschungsprojekts liege auf dem Technologie- und Wissenstransfer in regionale und überregionale Unternehmen, so Ortmeier weiter. „Die Ergebnisse sollen exemplarisch dort zur Anwendung kommen, wo robotische Werkzeugmaschinen eine Rolle spielen. Eine Interaktion mit den Bereichen Psychologie und Verhaltensmodellierung soll zudem die Zufriedenheit der menschlichen Teampartner mit dem Prozess und dem Ergebnis gewährleisten.“
Zusammenarbeit mit anderen Universitäten
Das Forschungsvorhaben ist aus dem seit 2008 bestehenden Forschungs- und Innovationsnetzwerk Chemnitz-Ilmenau-Magdeburg (CHIM) hervorgegangen. Jede der drei Universitäten bringt eine spezielle Expertise ein – die TU Chemnitz auf dem Gebiet „Mensch-Maschine-Interaktion und Kognitive Systeme“, die TU Ilmenau im Bereich „Intelligente Sensorik und komplexe Systeme“ und die Universität Magdeburg im Forschungsfeld „Künstliche Intelligenz und Digital Engineering“. Prof. Ortmeier und sein Team beobachten in Experimenten konkrete Mensch-Maschine-Interaktionen, analysieren Datenströme und wollen so besser verstehen, wie Mensch und Roboter aufeinander wirken und wie die menschlichen Reaktionen - auch ohne aufwendige Sensorik am Körper - etwa durch Bild und Ton, erfasst werden können.
„Wenn Mensch und Maschine kooperieren sollen, dann muss die Maschine etwas von dem beabsichtigten Ziel wissen, das Handeln des Menschen verstehen und sich sogar daran beteiligen“, beschreibt die Wirtschaftsinformatikerin Prof. Myra Spiliopoulou vom Institut für Technische und Betriebliche Informationssysteme der Universität Magdeburg eine der großen Herausforderungen für ein funktionierendes „Productive Teaming“. „Wenn etwas herunterfällt, sollten Roboter das erkennen und darauf reagieren.“ Dafür sei es notwendig, Messverfahren, Experimente und KI-Methoden disziplinübergreifend miteinander zu verzahnen.
In fünf bis zehn Jahren würde sich „Productive Teaming“ technisch umsetzen lassen, so Frank Ortmeier. Aber es gehe auch um einen Paradigmenwechsel, der zuerst in der Gesellschaft stattfinden müsse. Einer der wichtigsten Meilensteine auf diesem Weg sei die Akzeptanz, die mit dem Forschungsvorhaben ebenfalls vorangetrieben werden müsse. Der Wissenschaftler hofft, dass in einigen Jahren, das CHIM-Netzwerk zusammen mit rund 30 weiteren Hochschulen Teil eines internationalen Zentrums für „Productive Teaming“ sei, das gemeinsam Datensätze aufnimmt und nutzt, KI-Modelle austauscht, Anwendungsszenarien entwickelt und das Thema in die Gesellschaft trägt.
Hintergrund Exzellenzinitiative
Die Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg beteiligt sich mit diesem und zwei weiteren Forschungsclustern an der neuen Runde der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder. Die drei Forschungsinitiativen zielen auf eine nachhaltige Chemieindustrie, die Stärkung der Hirngesundheit sowie auf eine verbesserte Zusammenarbeit von Mensch und Maschine im Produktionsprozess ab. Ende Mai 2023 wurden drei Projektskizzen bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eingereicht. Diese werden bis Ende Januar 2024 bewertet. Im Falle positiver Voten dürfen die Initiativen bis zum August 2024 Förderanträge bei der DFG stellen. Die endgültige Förderentscheidung wird im Mai 2025 fallen, bevor die Clusterförderung dann Anfang 2026 für zunächst sieben Jahre startet.