Fürs Medizinstudium brennen
„Ich wollte schon immer Medizin studieren“, erzählt Sandra Kind. Ihre Augen strahlen förmlich, wenn sie von ihrem Kindheitstraum berichtet, der ihr gewissermaßen in die Wiege gelegt wurde, denn ihre Mutter war 18, als sie Sandra bekam und ihr Medizinstudium begann. „Ich habe also quasi mit ihr angefangen, Medizin zu studieren“, erzählt sie weiter mit einem Augenzwinkern. „Wir haben immer scherzhaft gesagt, dass ich ein Seminar-Baby war, weil sie mich auch manchmal mitgenommen hat.“ Sandra Kind hatte alle Voraussetzungen, um ihren Traum zu verwirklichen – auch die Noten stimmten – bis bei ihr mit 16 Jahren Epilepsie diagnostiziert wurde und damit eine Karriere als Ärztin scheinbar unmöglich wurde.
„Danach habe ich sehr lange versucht, etwas anderes zu finden. Ich habe angefangen, Jura zu studieren, aber schnell gemerkt, dass das nicht das Richtige ist. Und letztendlich habe ich mich in der Praxis meiner Mutter wiedergefunden. Sie arbeitet als Hausärztin auf dem Land. Dort habe ich als Praxisassistentin gearbeitet und gemerkt, dass ich es liebe, medizinisch zu arbeiten“, erzählt sie. Sie habe auch früher schon viele Praktika gemacht und jede Praxiserfahrung habe sie nur darin bestätigt, dass im medizinischen Umfeld zu arbeiten ihr großer Traum ist. „Ich wollte aber schon immer etwas mehr machen, was auch über meine Arbeit als Praxisassistenz hinausgeht.“ Schließlich hörte sie von der Landarztquote, die neu in Sachsen-Anhalt eingeführt wurde. „Meine ersten Gedanken dazu waren: Die sind völlig verrückt, die Leute. Eine Landarztquote? Es ist so absurd. Man muss sich nicht nur festlegen auf Allgemeinmedizin, sondern auch, in Sachsen-Anhalt zu bleiben“, meint Sandra Kind lachend. Man studiert am Ende sechs Jahre lang, danach kommen fünf Jahre Facharztweiterbildung, die man im besten Fall auch in Sachsen-Anhalt absolvieren soll und danach verpflichten sich die Absolventinnen und Absolventen für zehn Jahre, in Sachsen-Anhalt als Hausarzt tätig zu sein.
Sinn dieser Landarztquote ist es, dem großen Mangel an Hausärztinnen und Hausärzten in Sachsen-Anhalt entgegenzuwirken. Fast jedes Gebiet ist momentan unterversorgt oder drohend unterversorgt. Deswegen werden seit 2020 fünf Prozent von allen Medizin-Studienplätzen in Sachsen-Anhalt über die Landarztquote reserviert, das sind insgesamt 20 Plätze, verteilt auf die Universitäten Halle und Magdeburg. Man bewirbt sich bei der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt und sollte medizinische Vorerfahrungen haben. „Die meisten sind Krankenschwestern oder Rettungssanitäter oder haben schon Erfahrungen in anderen Bereich der Patientenversorgung gemacht“, erzählt Sandra Kind. Wenn man die Kriterien erfüllt, wird man schließlich zu einem Test eingeladen. In dem Test geht es um die Studierfähigkeit, wird die Intelligenz getestet, sind Rechenaufgaben zu lösen und Texte zu erfassen. Mit spezifischen Fragen wird geprüft, ob man sich als Hausärztin oder Hausarzt eignen würde.
„Mein zweiter Gedanke zu der Quote war: Eigentlich bin ich doch alt genug! Ich habe schon einiges gesehen. Ich war im Ausland. Ich habe in verschiedenen Städten gewohnt, in Berlin, in Greifswald, in Chemnitz und bin immer wieder in den Harz, in meine Heimat, zurückgekommen. Ich weiß, wie es in der Hausarztpraxis auf dem Land ist, durch meine Mama. Ich habe dort auch selbst gearbeitet“, so die 32-Jährige. Also hat sie sich entschieden, es einfach mal zu probieren und nicht damit gerechnet, in ihrem Alter die Zusage zu bekommen. Am Ende wurde sie aber doch zu dem Kompetenztest eingeladen. „Danach dachte ich, dass es auf keinen Fall geklappt hat“, erzählt Sandra Kind. Als dann schließlich doch der Brief mit der Zusage, dass sie in Magdeburg studieren kann, ankommt, war die Freude groß. Seit letztem Jahr im Oktober studiert Sandra Kind nun in Magdeburg Medizin.“
Damit kann sie endlich ihren Kindheitstraum verwirklichen. Die Medizinbücher hatte sie tatsächlich schon zuhause, bevor sie wusste, dass sie Medizin studieren würde. „Ich mag es, alles über Menschen zu wissen, wie der Körper funktioniert. Das hat mich schon immer fasziniert. Biologie fand ich toll, die ganzen Vorgänge des menschlichen Körpers und der Natur zu verstehen“, erzählt sie. „Außerdem wollte ich immer Ärztin werden, weil man tatsächlich helfen kann. Jemand ist in Not und man kann etwas tun. Das ist irgendwie ein schönes Gefühl.“
Alle Medizinstudierenden, die über die Landarztquote ihr Studium an der Universität Magdeburg begonnen haben, bilden die „Klasse Hausärzte“. Dort geht es vor allem um Allgemeinmedizin. Die Besonderheit ist, dass jeder Studierende einen hausärztlichen Mentor oder eine Mentorin bekommt. „Das ist ein Hausarzt in Sachsen-Anhalt, bei dem man Hospitationstage absolviert. Er oder sie ist dann Ansprechpartner für die nächsten Jahre. Man bekommt zudem einen Langzeitpatienten zugeteilt“, erzählt die Medizinstudentin. Ziel ist es, dass man bereits einen umfassenden Einblick in das Fachgebiet bekommt, in dem es darum geht, Patientinnen und Patienten lange zu betreuen. Man baut eine Beziehung auf und das braucht Vertrauen.
Generell ist Sandra Kind der Meinung, dass man die Allgemeinmedizin nicht unterschätzen sollte. „Es klingt vielleicht nicht so cool wie Kardiologie und man heilt jetzt vielleicht auch keinen Krebs, aber man bekommt spannende Einblicke. Man bekommt alle Befunde und hat so wirklich einen Rundumblick über den Patienten oder die Patientin.“ Warum sie Hausärztin auf dem Land werden möchte? „Weil sie gebraucht werden. Es ist wirklich wichtig. Man merkt, dass die Leute sehr dankbar sind“, meint die 32-Jährige.
Abschließend ein Tipp von Sandra Kind für alle, die auch überlegen, ob vielleicht ein Medizinstudium das Richtige für sie wäre: „Probiert es vorher aus! Ich glaube es ist wichtig, dass man wirklich vorher einmal ein Praktikum macht und sich die Arbeit anschaut. Man muss nicht superintelligent sein, um Medizin zu studieren. Man muss engagiert sein, man muss dafür brennen.“ Medizinstudierende, die ihr Physikum erfolgreich absolviert haben und ins 3. Studienjahr an der Uni Magdeburg starten, haben noch die Möglichkeit, dem Wahlfach „Klasse Hausärzte“ beizutreten. Interessierte sollten sich möglichst kurzfristig, spätestens bis Mitte Oktober, melden. Der nächste Bewerbungszeitraum für Erstsemesterstudierende für die „Klasse Hausärzte“ im Jahr 2022 beginnt dann wieder zum Semesterstart.