Schwerelose Smarties
Seit 2009 erforscht Kirsten Harth am Institut für Physik der Universität Magdeburg unter anderem die Dynamik von Tropfen oder Blasen, komplexe Flüssigkeiten und Systeme aus granularen Materialien - und setzt dabei auch schon mal viele bunte Smarties ein und kleine Gelkugeln ein. Was die Preisträgerin des Karin-Witte-Preises damit erforscht und wie ihr Arbeitsplatz aussieht, das hat sich Webredakteurin Ina Götze bei einem Besuch in ihrem Büro mal angeschaut.
Neue Evakuierungsstrategien erforschen
Wenn die Hydrokugeln auf eine heiße Platte fallen, springen sie wie lebendig herum. Wir wollten wissen, wie das funktioniert und ob sie auch auf einer Dampfschicht schweben können. Sie können! Seit meiner Postdoc-Zeit arbeite ich mit optischen Methoden, mit denen man kurzzeitige Kontakte zwischen Flüssigkeit und Oberflächen sichtbar machen kann, um das Verhalten von Tropfen zu verstehen. In einem anderen Versuch füllen wir die Kugeln in ein Silo und schauen, wie sie herausfließen oder ob es verstopft. Das kennt man von Getreidesilos oder vom Zuckerstreuer: Obwohl die Körner viel kleiner sind als die Öffnung, kommt manchmal nichts heraus. Die Hydrogelkugeln können sich leicht verformen und haben nur wenig Reibung – das ändert ihr Verhalten: Sie verstopfen viel seltener und viele Verstopfungen können sich auch von allein wieder lösen. Sie verhalten sich also ähnlich wie Menschenmengen in Evakuierungssituationen. Ich möchte herausfinden, ob und wie man solche mechanischen Modelle für Vorhersagen nutzen kann. Vielleicht kann das helfen, um auch Evakuierungsstrategien zu verbessern. Das Prinzip ist erstmal das gleiche, es kommt in der Realität aber noch die Psychologie hinzu. Mit den Hydrokugeln erforschen wir erste Ansätze. Außerdem eignen sie sich gut für Blumen, weil sie im nassen Zustand zu 98 Prozent aus Wasser bestehen.
Mit den Hydrokugeln erforscht Dr. Kirsten Harth neue Evakuierungsstrategien. (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)
Vorbild für den Nachwuchs
Im Mai 2021 habe ich den Karin-Witte-Preis für Naturwissenschaftlerinnen bekommen. Der Preis ist eine große Wertschätzung meiner wissenschaftlichen Arbeit und ich hoffe, dass es andere inspiriert, ein naturwissenschaftliches oder technisches Studium zu beginnen. Was ich mit den 5.000 Euro Preisgeld mache, weiß ich noch nicht genau – ich warte auf den richtigen Moment. Auf jeden Fall eine kleine Feier mit den Kollegen, wenn das wieder geht. Und ich werde etwas für die Badestelle in meinem Heimatort spenden.
Für ihre Erfolge in der Forschung hat Dr. Kirsten Harth den Karin-Witte-Preis erhalten. (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)
Das Gefühl der Schwerelosigkeit
Die Postkarte habe ich 2010 bei unserer ersten Reise nach Esrange gekauft – sie zeigt die größte europäische Forschungsrakete. Ein Jahr später ist dort unser erstes Experiment zu granularen Gasen ins All gestartet. Als wir unser Setup zurückbekamen, die SD-Karten aus den Kameras holten und zum ersten Mal unsere Rohdaten gesehen haben – das war ein unglaublich toller Moment! Da fiel eine riesige Anspannung ab – einfach überwältigend! Insgesamt 4 Raketenstarts durfte ich erleben und es war jedes Mal faszinierend. Die Szenerie inmitten der texanischen Wüste zum Start einer Rakete von Blue Origin – der privaten Raumfahrtfirma des Amazon-Gründers Jeff Bezos – war besonders beeindruckend: Die Rakete ist riesig, wiederverwendbar und alle Teile landen wieder punktgenau auf der Startbasis. Wenn sich die Gelegenheit bietet, würde ich selber auch ins All fliegen und ein Experiment mitnehmen. Solange freue ich mich immer wieder auf die Parabelflüge. Der Moment, wenn man in die Schwerelosigkeit übergeht – das ist ein einmaliges Gefühl.
Als Andenken an ihre erste Reise nach Esrange hat sich Dr. Kirsten Harth diese Postkarte gekauft. (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)
Not macht erfinderisch
Für ein Experiment brauchten wir ein Granulat in der Form und Größe von Mini-Smarties. Darum habe ich in 4 Supermärkten die Vorräte geplündert – in dem einen habe ich 40 Packungen gekauft. Wir sind immer froh über kostengünstige Materialien und haben mittlerweile schon vieles ausprobiert. Für die meisten Experimente im Fallturm – in Schwerelosigkeit – benutzen wir aber 1 cm lange, bunte Drahtstäbchen – die sind sogar selbst gemacht.
Mit den kleinen Mini-Smarties führt das Team von Dr. Kirsten Harth regelmäßig Experimente durch. (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)
Aus dem Labor ins Rampenlicht
Musik ist einfach ein Teil von mir. Akkordeon spiele ich, seit ich 7 bin und seit 2004 bin ich Lead-Sängerin und Akkordeonistin in der Band „Celtic Chaos“. Auf der Bühne zu stehen, hat eine besondere Magie und Energie. Wie für meine Arbeit brauche ich viel Kreativität und oft Geduld. Es gelingt nicht alles beim ersten Mal und auch Forschung funktioniert nur im Team, wie in der Band.
In ihrer Freizeit tritt Dr. Kirsten Harth mit ihrer Band „Celtic Chaos“ auf. (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)