Wie Computer lernen Prothesen zu steuern
Die Mathematikerin Prof. Dr. Alexandra Carpentier hat den „Forschungspreis der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg 2020“ erhalten. Die international renommierte Forscherin wurde für ihre Forschungen an der Schnittstelle von mathematischer Statistik und maschinellem Lernen ausgezeichnet. „Für mich ist es immer wieder aufs Neue ein Paradoxon, dass wir so viel über den Zufall sagen können. Denn, obwohl der Zufall eigentlich nicht vorhersagbar ist, können wir trotzdem berechnen und Aussagen darüber treffen, was mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreten wird“, sagt Professorin Dr. Alexandra Carpentier über ihre Arbeit am Institut für Mathematische Stochastik der Universität Magdeburg.
Die Grundlage ihrer Forschung sind Daten, die in großen Mengen durch die zunehmende Digitalisierung aller Bereiche des gesellschaftlichen Lebens anfallen. Viele Fragen – ob aus der Medizin, der Industrie oder dem Online-Handel – lassen sich mit ihnen mathematisch analysieren und lösen. Anhand der Zugriffszahlen und des Verhaltens der Nutzer kann ein Händler etwa errechnen, ob es sich lohnt, ein bestimmtes Produkt online zu bewerben. Genauso kann prognostiziert werden, ob eine politische Maßnahme den gewünschten Erfolg haben wird oder ob ein Medikament effizient wirkt.
Doch wie können exakt die Daten – auch aus großen Datenmengen – herausgefiltert werden, die dann jeweils für ein Empfehlungssystem, sei es für die beste Therapie, das assistenzfreie Fahren oder in virtuellen Warenhäusern, gebraucht werden? Wie hoch darf die Fehlerquote sein, um das Risiko einschätzen und die Künstliche Intelligenz (KI) sicherer machen zu können? Diese Fragen sind besonders für sogenannte sequenzielle Entscheidungen wichtig, also Entscheidungen, die fortlaufend getroffen werden und die jeweils auf dem Ergebnis der vorangegangenen basieren.
Das menschliche Gehirn mit einem Computer verbinden
Alexandra Carpentier arbeitet zwar nicht an solchen konkreten Fragen, liefert mit ihrer Forschung aber die Grundlagen für die mathematischen Instrumente, die die richtigen Antworten darauf geben können. Mithilfe mathematischer Methoden prüft die Wissenschaftlerin, ob die verwendeten Algorithmen stabil sind und sich prinzipiell für das, was die Künstliche Intelligenz erlernen soll, eignen. Letztlich können damit Verfahren des maschinellen Lernens optimiert werden, so dass sich die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine eines Tages noch besser aufeinander abstimmen lässt.
Dazu gehören auch Mensch-Maschine-Schnittstellen. Vor einigen Jahren untersuchte Alexandra Carpentier gemeinsam mit Neurowissenschaftlern Brain-Computer-Interfaces, die mithilfe von Elektroden das menschliche Gehirn mit einem Computer verbinden. Die elektrischen Impulse des Gehirns können dabei vom Computer gelesen werden. Menschen mit Bein- oder Armprothesen sollen künftig mit dieser Unterstützung ihre Gliedmaßen mit Nervenimpulsen steuern können. Carpentier suchte dafür nach Algorithmen, mit denen der Computer effizient und schnell lernen kann, die Signale aus dem menschlichen Gehirn zu erkennen und umzusetzen.
Damit hat die Mathematikerin auch Anteil an einer Entwicklung, die die Welt in den kommenden Jahrzehnten wohl massiv verändern wird. „Es ist sehr schwer zu sagen, was im Einzelnen passieren wird, aber es wird sehr schnell gehen. Mit künstlicher Intelligenz wird es viele neue Möglichkeiten geben, die bisher aber noch gar nicht gesetzlich reguliert sind“, gibt die Forscherin zu bedenken. Mathematisches Forschen ist Denksport und oft auch eine Geduldsprobe. Forscherinnen und Forscher benötigen mitunter einen langen Atem, um ihre Ziele zu erreichen. „Es kann Jahre dauern“, bestätigt die gebürtige Französin, „Mathematik ist nichts für Ungeduldige.“ An der Mathematik liebe sie am meisten das Verstehen eines Problems und die akribische Suche nach der Lösung. Und das im Team, in dem über Ideen und Forschungsansätze, mögliche Lösungswege und Schwierigkeiten diskutiert wird. „Denn nur die Arbeit im Team, am Institut und an der Fakultät, aber auch die zahlreichen Kooperationen mit externen Partnern machten es möglich, dass ich den Otto-von-Guericke-Forschungspreis entgegennehmen konnte.“
„In unserem Fach gibt es viel Potenzial“, bestätigt die junge Wissenschaftlerin, die sich für die Zukunft aber vor allem eines wünscht: „Es könnte noch mehr Frauen geben, die auf diesem Gebiet forschen. In der Mathematik ist der Anteil immer noch gering, aber in der Informatik arbeiten noch viel weniger Forscherinnen.“ Die Forschungsteams würden davon enorm profitieren, davon ist sie überzeugt.
Kurzvita Prof. Carpentier
Alexandra Carpentier studierte Statistik, Wirtschaft und Wahrscheinlichkeitstheorie an der École Nationale de la Statistique et de l’Administration Économique (ENSAE) in Paris und an der Universität Paris 7 – Denis Diderot. Nachdem sie 2012 mit einer Arbeit in Angewandter Mathematik am Institut national de recherche en informatique et en automatique (INRIA) in Lille promoviert wurde, forschte sie drei Jahre lang an der Universität Cambridge. Seit 2015 leitet Carpentier eine DFG-geförderte Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe, zunächst an der Universität Potsdam und seit 2017 an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, an der Carpentier eine W2-Professur innehat. Im Jahr 2016 war sie zusätzlich Gastprofessorin an der Universität Paris-Nanterre. Seit 2017 ist Carpentier Teilprojektleiterin eines Sonderforschungsbereichs und an zwei mathematischen Graduiertenkollegs beteiligt. Im September 2020 wurde Carpentier von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit dem international renommierten „Von Kaven-Preis“ ausgezeichnet.
Bilder zum Download:
Bild 1 // Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg // Bildunterschrift: Prof. Dr. Alexandra Carpentier