KI im Einsatz gegen Pädophilie
Informationstechnologen der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg entwickeln eine KI-basierte App, die es Menschen mit pädophilen Neigungen ermöglichen wird, anonyme und identitätsverschleiernde Erstberatungen und Fernbehandlungen in Anspruch zu nehmen. Therapeuten erkennen durch den Einsatz dieser Technologie am Endgerät der Nutzer weder die Stimme noch die Sprechweise des Anrufers, erhalten aber trotzdem alle für die klinisch-diagnostische Beurteilung nötigen Inhalte des Emotions- und Persönlichkeitsausdrucks des Hilfesuchenden. Betroffenen, die aufgrund von Scham oder Angst vor sozialer Ausgrenzung bisher keine Beratungsangebote genutzt haben, soll so ein Zugang zu Präventionsmaßnahmen ermöglicht werden.
Ziel der Ingenieurinnen und Ingenieure des Instituts für Informations- und Kommunikationstechnik der Universität ist es, die Sprecheridentität aus der Sprachaufnahme zu entfernen, aber Emotionen und Persönlichkeitsausdruck zu erhalten. Das Team um Juniorprofessor Dr.-Ing. Ingo Siegert untersucht anschließend, ob die dann mögliche Anonymisierung des verbalen Kommunikationskanals zu mehr Akzeptanz für eine präventive Behandlung gegen Kindesmissbrauch führt und einen offenen Austausch fördert, ohne die Kommunikation in der Therapie ungünstig zu beeinflussen.
„Durch den Einsatz modernster KI-Methoden wird in der Fernbehandlung am Telefon oder in der Videotelefonie die Stimme des Hilfesuchenden so verändert werden, dass eine Identifikation nicht möglich ist“, erklärt Projektleiter Juniorprofessor Dr.-Ing. Ingo Siegert. „Da diese Technik auf dem Endgerät des Nutzers laufen soll, ist auch keine spätere De-Anonymisierung der Stimme möglich. Der Hilfesuchende kann sich völlig sicher fühlen und professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, ohne Angst vor anschließenden Repressalien.“
Die Anonymisierung der Stimme bei der telefonischen Kontaktaufnahme oder bei durch Videotelefonie ergänzten Therapien wird durch einen neuartigen Sprachsynthesizer umgesetzt, der eine künstliche Stimme erzeugen kann. Dieser Synthesizer wird die originalen Sprachdaten des Nutzers in hochqualitative Sprachaufnahmen umwandeln, die die wesentlichen Sprachinformationen sowie die individuelle Sprachmelodie zwar enthalten, aber die Identität der Sprechenden nicht preisgeben. Weiterhin wird die Technologie durch z. B. intelligentes Watermarking soweit abgesichert, dass ein Missbrauch außerhalb des Einsatzes in der Erstberatung unmöglich gemacht wird.
In dem von der VolkswagenStiftung mit 1,4 Millionen Euro geförderten Forschungsprojekt AnonymPrevent arbeiten Jun.-Prof. Ingo Siegert und der Informatiker Prof. Dr. Sebastian Stober vom Artificial Intelligence Lab der Universität Magdeburg mit dem Quality and Usability Lab der TU Berlin und dem Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin der Charité zusammen. Das Institut leitet seit Jahren nationale und internationale Projekte für therapiemotivierte Menschen mit pädophilen oder hebephilen Neigungen, unter anderem im 2004 ins Leben gerufenen „Präventionsprojekt Dunkelfeld“. Pädophil veranlagte Männer werden hier therapeutisch in ihrem Bestreben unterstützt, keinen erstmaligen oder wiederholten sexuellen Kindesmissbrauch zu begehen und keine Missbrauchsabbildungen im Internet zu konsumieren. Darüber hinaus zielt das Projekt darauf ab, die Öffentlichkeit für die Thematik zu sensibilisieren und zu zeigen, dass es Menschen mit einer sexuellen Neigung für Kinder gibt, die über ein Problembewusstsein verfügen und keine sexuellen Übergriffe begehen wollen. „Unser Forschungsansatz ist aber nicht auf das Projekt Dunkelfeld bzw. das Thema begrenzt“, so Projektleiter Ingo Siegert, „sondern in vielen Bereichen denkbar, zum Beispiel bei Therapien für Opfer, in Zeugenschutzprogrammen oder für Wistleblower.“